Downliners Sekt: »Silent Ascent«

Tatsächlich gibt es keine Wahrnehmung, die nicht mit Erinnerung gesättigt ist. […] Meistens verdrängen diese Erinnerungen unsere eigentlichen Wahrnehmungen, und es bleiben uns von diesen nur noch Andeutungen zurück.
 
— Henri Bergson

 
Knacks.
Bild eines Beats.
Affizierte Nervenbahn.
Kitzel.
Rhytmisierter Blutstrom — somatisches Zentrifuge-Werden.
Serotoninmoment.
 
Leiser Aufstieg, ›Silent Ascent‹, so lautet der Titel des dritten Downliners Sekt-Albums. Um ihm gerecht werden zu können, bedarf es zunächst einer Musik voll lautstarker Gegenwärtigkeit, die es auf leisen Sohlen zu unterwandern, unbemerkt zu zersetzen gilt. Er mahnt Geduld an, im heimlichen Klang-Zwist von Geist und Leib. Geistesgegenwart als Antagonist des körperlich Unbewussten. Die Verschiebungen vom Einen zum Anderen sind subtiler Natur, stetig im Wandel begriffen — wie Flirren in der Luft, Chimären. Auf ›Silent Ascent‹ ist es ein stetiges Gegeneinander von einer Art nagelkauender, nervöser Nähe – beinahe Aufdringlichkeit – der Beats und deren nahezu unmerkliche Auslöschung, Versenkung in der Fläche. Es beginnt mit einem Kick im Magen und zieht sich entlang der fallenden Frequenz in konzentrischen Bahnen bis in die Extremitäten. Und mit einer Halb-Sekunde Verzögerung – Neuronallatenz – resoniert ein Hirnareal, setzt zum Sprung an. Synaptischer Hürdensprint im Schlagschatten des Basslaufs, dessen Klangmuster sich im Bewegungsmoment lösen, zum diffusen Körpergefühl wandeln, Botenstoff werden und sich als Erinnerungsspur ins Fleisch schreiben.
 
Kognitive Leerrille.
Überschuss an Gegenwart.
Übersprungmoment.

 
Dann Fläche — liquides Gedankenmeer, aus dem sich gelegentlich soulige Stimmfetzen erheben. Simulationen, entkernte Aussagehülsen, die weniger sprechende Stimme sind, als vielmehr reines Timbre mit vagem Körperverweis, Emotionsbild. Plötzlich: Stromschnelle. Augenblickliches Sich-Verdichten, Anschwellen und Mitgerissen-Werden auf der Fluchtlinie der Strömung. Überall rauschen, rieseln, mahlen. Wie ein mentaler Sog, der das Bewusstsein in einem phänomenalen Niesen völlig veräußert und als Satelliten in den Orbit des eigenen Körpers schießt.
 
Knacks.
Bild eines Beats.
Update.

 
Für einen Augenblick aus der Zeit geworfen. Schwereloses Rotieren um die eigene Achse. Aus der Ferne wieder eine Stimme. Erinnerungsabgleich. Dann Sog in die Gegenrichtung, durch den Sehnerv Bewegung zum Magen.
 
Beat.
 
 

Text

Robert Henschel

Fotografie

© Edgar Ferrer
 
[tabgroup][tab title=“Hör|Spiel“][/tab][/tabgroup]
[notification type=“success_alert“ title=““]›Silent Ascent‹ erscheint auf Infiné Music.[/notification]
[accordiongroup][accordion title=“Kommentar“]Gelegentlich versuchen wir uns an experimentellen Textformaten. Ziel dieses Textes ist es, der Musik in den Körper zu folgen. Er soll Geschwindigkeit in die Schrift aufnehmen und gewissermaßen einen nicht-sprachlichen Dialog zwischen bewusster Reaktion und körperlichem Affekt übersetzen.[/accordion][/accordiongroup]
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert