The Necks: ››Unfold‹‹

Eine Bergkette ziert das Cover des neuen The Necks-Albums Unfold. Schemenhaft. Eigentlich sind es mehrere, in Perspektive gerückte Bergketten, die sich letztlich irgendwo zwischen dem schmuddeligen Weiß der Wolken und dem wässrigen Blau des Himmels verlieren. Der Fotografie mangelt es an Tiefenschärfe, sie wirkt zweidimensional, wie collagiert: Ein der Realität entrissenes und zwischen zwei Buchdeckel gepresstes Panorama. Aller scheinbaren Harmonie zum Trotz, versprüht dieses Bild eine seltsam enervierende Unruhe. Wie Magma quillt sie aus der unsichtbaren Tiefe zwischen den Gipfeln. »Photos sind die tausend flachen Facetten einer ungreifbaren Identität, die nur außerhalb ihrer selbst aufscheint« — hallen die Worte des französischen Philosophen François Laruelle zur Fotografie wider. Irgendwo müssten dort, zwischen den einzelnen Silhouetten, Täler sein, der Schattenriss eines Baumes vielleicht — doch: Fehlanzeige. Aus diesem unentrinnbaren Gefühl des Mangels bezieht das Bild seine bedrückende Kraft. Mit ›the eerie‹ – hier klingt das Schleifen von Fingernägeln auf eingestaubten Dielen schon im Begriff mit – beschrieb der jüngst verstorbene Kulturkritiker Mark Fisher dieses Phänomen einer Präsenz, die auffindbar sein müsste, es aber nicht ist. Im Deutschen gibt es kaum eine angemessene Übersetzung, am ehesten träfe es wohl ›unheimlich‹ oder ›beklemmend‹.

Attribute wiederum, die man der Musik der Necks zweifelsohne zuschreiben muss. Wenngleich man mit Musik im strengen Sinne schon falsch läge. Denn was das Trio um Chris Abrahams’ eremitisch durch die Düsternis stolpernde Piano- und Orgelklänge herum konstruiert, lässt sich weder in Genre-Zuschreibungen herunterbrechen – kein Jazz, kein Post-Rock, kein Ambient (was auch immer der Begriff inzwischen bezeichnet) und zugleich all das – noch in komplexen Harmoniestrukturen darstellen. Das Musizieren der Necks ähnelt im Prozess eher der Malerei: Mal plakativ verdichtet wie jene Mark Rothkos, mal unsicher und scheinbar ziellos umherirrend wie die Farbschlieren Jackson Pollocks. Der explorative Zugang zur Musik, ob als zaghaftes Vorantasten oder raumgreifende Geste, durchzieht sämtliche Studioalben wie ein roter Faden. Schon auf ihrem Anfang der 1990er Jahre erschienen Debüt Sex war er unüberhörbar.

Die Necks fabrizieren Klangsplitter, die sich sukzessive zur Form verdichten. Dabei lassen sie sich Zeit: Üblicherweise bestehen die Alben des australischen Trios aus einem einzigen Track, der nicht selten an der Grenze zur Stunde kratzt. Unfold ist mit seinen vier 20-Minütern nun die Ausnahme dieser Regel. Die vom Medium – Unfold erscheint in physischer Form nur als Doppel-LP – auferlegte Beschränkung steht ihnen allerdings gut. Denn sie zwingt zur Verdichtung. Insbesondere diese eerieness, das Gefühl des Unheimlichen, das schon dem Cover innewohnt, wechselt nahtlos in die Musik über. Mal äußert es sich ganz konkret im Klang: Diese Rassel auf Overhear, die wie eine Dose voller Eisennägel klingt oder die gedämpft und seltsam zusammenhanglos ausgestreuten Klaviernoten auf Timepiece. Vor allem aber kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Musik hier eher das Oberflächenphänomen ist: Als unterläge ihr eine Art tektonische Kraft, die sie von Innen heraus formen würde.
 
 

Text

Robert Henschel

Fotografie

© Ideologic Organ / Editions Mego
 
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]The Necks Unfold erscheint auf Ideologic Organ, dem von Stephen O’Malley (Sunn O)))) kuratierten Sublabel von Editions Mego.[/notification]
 

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