Eels: »The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett«

Es scheint, als ob Mark Oliver Everett gar nicht anders könnte, als sich erzählend zu verschwenden. Seine nun schon fast 20 Jahre überspannende Narration war und ist die der manischen Selbstobservation – kein Wunder, hält man sich die einst in seiner Autobiografie ›Things The Grandchildren Should Know‹ schriftlich festgehaltenen Erlebnisse des jungen Everett vor Augen: Tod, Krankheit, Depression einerseits – Wahnsinn, Langeweile und Rockmusik andererseits. Wer derart früh in den Orkus der Schicksalshaftigkeit geschleudert und mit den Mitteln des unmittelbaren Ausdrucks ausgestattet wird, dem gelingt dann später auch ein noch immer rätselhaft irrsinniger Betroffenheitsschunkler wie ›Novocaine For The Soul‹. Ging Everett allerdings in den 90ern noch als der Kauz durch, der sich was traut, sind seine leicht gegeneinander verschobenen Pop-Kleinode nun schon seit einigen Jahren vom unbarmherzigen Griff des Anachronismus gefesselt. Was bleibt einem da anderes übrig als einmal mehr mit Erwartungen zu brechen, indem man sie hinten herum erfüllt?! Denn das ist klar: Die EELS sind noch immer eine super Band und Everett’s verspulte Songs of Love and Hate büßen wohl niemals an Charme ein.

Raus aus der Misere, rein ins Unheil – Mr. E’s enormer Output der letzten Jahre ist sicherlich auch Produkt seines störrischen Selbstwiderlegens. Erst letztes Jahr zerrockte ›Wonderful, Glorious‹ spöttisch den Mythos des grantelnden Depressionsgurus Everett und jetzt das: ›The Cautionary Tales of Mark Oliver Everett‹. Dreizehn nachdenkliche, subtil mit Brass, Streichern und Bandelementen angedickte Folkpop-Traurigkeiten. Nichts, in dass man versinkt wie die Kaffeebohne in den letzten Sambuca, aber doch angenehm schwer und unmissverständlich um mistakes und misunderstandings kreisend. Dabei gibt es von Lennon’schem Sendungspathos bis zum räudigen Rumpelblues à la Waits die ganze Palette des Handwerks, was dann auch die wenigen unseeligen Momente von midlife-crisis noch ertragbar macht. Everett ist und bleibt Experte für das Unvorhergesehene, Spitzbübische, wie auch für die ungepflegten Ecken des Pop. Seine Musik ist dem Wesen nach unabgeschlossen, da sie nicht bei sich selbst verweilen kann – sie ist so schnell wieder weg, wie sie kam. Zurück bleibt ein Fetzen Melodie oder eine Zeile: »I keep defeating my own self and keep repeating yesterday.«

Und so ist schon der Titel dieses elften Studioalbums stilprägend für das, was EELS heute ausmacht: Die immanente Ambivalenz einer semi-artifiziellen Marke namens: Ich. Zwischen das höhnische Lächeln des bitteren Ironikers und das unbelehrbare Gebaren des ewig Adoleszenten passt bei Everett immer noch der aufrichtig erhobene Zeigefinger. Im dicken Wälzer der (post-)ironischen Selbstbearbeitung sind die Cautionary Tales somit nicht unter den zahllosen Kapiteln des Entweder-Oder zu finden – sie sind eher die Fußnote des Sowohl-als-Auch, das jede Seite doppelt beschreibt. Das allein macht Everett noch nicht zum unfehlbaren Heiligen des Songwriting, ganz sicher aber ist er in seinen beliebig ausstellbaren Facetten dem um sich selbst kreisenden Befindlichkeitszeitgeist wieder einmal weit voraus – vor allem musikalisch.
 
 

Text

Henning Grabow

Fotografie

© Piper Ferguson
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]›The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett‹ erscheint auf E-Works / Pias.[/notification]
 

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