Datashock: ››Kräuter der Provinz‹‹

Vielleicht sollte uns dieses neue Datashock-Album nachdenklich stimmen. Vielleicht aber auch nicht, wer weiß. Die Intention, die sich hinter der Musik des inzwischen quer durch die Republik verstreuten Kollektivs mit langsam dahinmarodierenden Wurzeln im Saarland verbirgt, ist eigentlich selten klar. Die Frage ist ab wann es absurd wird lautete vor 14 Jahren der zweite Titel, den das damals noch als Dreigespann operierende Projekt veröffentlichte. Der erste, 6×7=42, erschien im Jahr zuvor auf einem aus heutiger Sicht reichlich grotesk anmutenden Format, nämlich einer Doppel Floppy-Disk. Um ihn hören zu können, brauchte man ein Diskettenlaufwerk. Und doch war all das seltsam zeitgemäß. MP3, der Standard, der das Veröffentlichungsformat überhaupt möglich machte, war erst ein knappes Jahrzehnt alt und hatte der Musikindustrie bereits einen gehörigen Schrecken eingejagt, der auf den Namen Napster hörte. Seither ist einiges geschehen. Computer haben keine Diskettenlaufwerke mehr, die Musikindustrie ist trotz ihres ewigen Lamentos noch immer nicht gestorben und Datashock sind von drei auf inzwischen acht Mitglieder angewachsen. Doch die Frage des Absurden lauert noch immer im Schlagschatten jeder neuen Veröffentlichung. Diesmal – wie eigentlich jedes Mal – bereits im Titel: Kräuter der Provinz. So kulinarisch, so kryptisch, so dadaistisch. Vielleicht geht es hier ums Essen — Titel wie Halb-Halb, wie ein guter Kloß oder Schönster Gurkenschwan legen die Vermutung nahe. Vielleicht geht es aber auch um etwas anderes, gleichwohl nicht minder tief im Rahmen der Kultur verankertes: Die Provinz.

Die Frage, um die das Album kreist, könnte man dann so formulieren: Woher kommt eigentlich der Sound? Schwingen irgendwo im Kontinuum des Klangs kleine Erdpartikel mit, die auf eine Herkunft oder Traditionslinie schließen lassen? Einerseits verweist die Frage damit auf eine fast schon zum Gemeinplatz avancierte Einordnung des Kollektivs in eine Krautrock-Tradition, deren Wurzel bis zurück in die 1960er Jahre reicht. »Es ginge dann um die Provinz, zu der man sich zählt, wenn man Provinz als Peripherie von Sound versteht, und von dem Standpunkt aus etwas zu sagen« erklärt Ronnie Oliveras, der die Verantwortung für Elektronik und Klarinette trägt. Sicher, die Einordnung entbehrt nicht jeglicher Grundlage. Das repetitiv motorische Trommeln lässt sich auf Tracks wie Hullu, Gullu wir liefern Shizz. ebenso finden wie flimmernd hypnotische Synthesizer-Experimente auf Langusten Clown (am Atlantik). Auch der Hang zur freien Improvisation, der bei Datashock zur Maxime des Musikmachens überhaupt erhoben wurde, rückt sie in eine gewisse epigonenhafte Nähe. Und als wäre das nicht genug, veröffentlichen sie obendrein auf Bureau B, jenem Label, das u.A. mit Harmonia, La Düsseldorf und Cluster zum Inbegriff der Szene geworden ist. Sich aus dieser Krautsuppe zu befreien, könnte also spätestens jetzt zu einem recht schwierigen Unterfangen werden.

Gleichwohl: Auch der Referenzrahmen des Krautrock ist weder hermetisch abgeschlossen noch ausschließlich selbstreferenziell. Und hier beginnt die Tiefendimension dieser Überlegung zur Provinz, nämlich als Frage kultureller Aneignung, die im Medium der Musik gestellt wird. »Wir können in zwei Richtungen spielen: Wir werden immer eingeordnet in diese Krautrockkultur und in den 60ern war das mit der Aneignung ja extrem wichtig, die sind alle gereist, haben gesucht, nach Algerien und wohin nicht noch.“ erläutert Oliveras, nur um kurz darauf zu ergänzen: »Wir machen das nicht, wir suchen kein Heil in ostasiatischer Spiritualität, auch wenn das die Musik, aus der wir kommen, gemacht hat. Und vielleicht ist das unsere Distanz von der Musik aus der wir kommen und der wir natürlich auch sehr verhaftet sind.« Gerade die fast zum äußersten Rand getriebene Unreglementiertheit im Musikmachen, die das Kollektiv pflegt, wird an dieser Stelle spannend. Jede Datashock-Platte ist das Ergebnis tagelangen Experimentierens, ohne der Musik bewusst eine Struktur vorgeben zu wollen — auf Kräuter der Provinz wird mithin auch das deutlich: Hier wird sich tastend in die Zwischenräume von Musik und Geräusch vorgearbeitet. Und wenn die bewussten Strukturen fehlen, treten dann nicht die unbewussten in den Vordergrund? Die eigenen Prägungen und Einflüsse, die sich plötzlich in einer Bewegung der Finger manifestieren und eine Melodielinie oder einen Rhythmus zu Tage treten lassen. Dann wird Musik zum Kommunikationsraum und Oliveras Überlegung zum Gegenstand eines vielstimmigen Gesprächs: »Daher kommt vielleicht auch das mit der Kulinarik auf dem Album – man sieht den Teller mit Essen und stellt sich die Frage, wo fängt Aneignung denn an und wo hört sie auf?«.

Es scheint fast so, als wäre es diese Auseinandersetzung mit dem Eigenen und Fremden, die Datashock seit geraumer Zeit umtreibt. Immer wieder tauchen kleine Versatzstücke auf, die darauf verweisen: Das 2011er Album hieß Pyramiden von Gießen; auf dem Cover zum darauffolgenden Album Keine Oase in Sicht findet sich eine Fotografie, die Miglieder des Kollektivs in ägyptisch anmutenden Kleidern zeigt. »Diesen ›Anderen‹, der da dargestellt wird, den gibt es ja gar nicht« kommentiert Oliveras und trifft damit dann doch wieder einen seltsam zeitgemäßen und zugleich neuralgischen Punkt: Diese Identitäten, die wir uns über den Mittler der Kultur zurechtschustern, produzieren immer – mitunter völlig fiktive – Ausschlüsse und Eingrenzungen. Das kann durchaus nachdenklich stimmen, vielleicht geht es hier aber wirklich ›nur‹ ums Essen.
 
 

Interview

Tabea Köbler

Text

Robert Henschel

Fotografie

© Bureau B
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]Kräuter der Provinz erscheint auf Bureau B.[/notification]
 

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