Und unser Verlangen gilt gerade diesen neuen kinetischen, numerischen, fraktalen, künstlichen, synthetischen Bildern, weil sie alle weniger definiert sind. […] Nichts anderem als dieser ihrer technischen Künstlichkeit gilt unser wahres Begehren, unser echter Genuss.
— Jean Baudrillard
Man hegt ja inzwischen eher eine verhaltene Skepsis, wenn man von naturinspirierten Platten ließt. Was wohl daran liegen mag, dass Motive der Abgeschiedenheit und Ruhe in den Popmusiken der letzten Jahre derart von bärtigen Männern auf Selbstfindungstrip inkorporiert wurden (die ihnen in aller Regel eine beinahe schmonzettenhafte Innerlichkeit aufbürdeten), dass man das Gefühl hatte, sich nach jedem Durchlauf die Nase putzen zu müssen. Nun, Zeit sich an selbige fassen.
Denn Adda Schades ›Sverige Resa‹ legt mit angenehm unbärtigem Understatement nahe, dass es lediglich der richtigen Instrumente bedarf, um die Fragilität und vor allem Komplexität der Impression festzuhalten. Paradoxer Weise liegen die keineswegs in einer übersteigerten Form romantischer Subjektivität, vielmehr in deren Inversion — einer Implosion des Ichs. In der völligen Veräußerung, die sich in einem immanenten Drang zur rückhaltlosen Auflösung, der der Platte innezuwohnen scheint, offenbart. In einer Diffusionsbewegung – einem Salto mortale ins Nichts – der so ein diffuses Dystopie-Moment anhaftet. Diffus deshalb, weil es – bildlich ausgedrückt – beständig zwischen Mad Max-hafter Entrücktheit und Blade Runner’schem Unvermeidbarkeitsbewusstsein pendelt. Ihm fehlt das Schreckmoment. Die ganze Bewegung erscheint im Gegenteil als notwendig, denn dieses fraktale Ich birgt das Potential zur Neuvernetzung an der Nahtstelle des Beats. Immer dann, wenn er – mal gen Techno, mal gen krautiger Motorik schielend – einsetzt, blitzen im gleichsam paradoxen Hohlraum zwischen nervöser Getriebenheit und stoischer Ruhe Bilder auf, wie stillgestellte Hirnströme. Dekontextualisierte Augenblicke. Wurzeln. Lichtspiele auf der Wasseroberfläche — künstliche Stimuli. Kurz nur, dann holpert der Rhythmus, setzt aus und die flüchtige Synthese löst sich wieder, hinterlässt allenfalls eine ephemere Spur auf der Netzhaut, etwas Unwirkliches. Dann setzt er wieder ein und das Gravitationsfeld baut sich von Neuem auf. Genau in diesen kurzen Augenblicken liegt die Schönheit von ›Sverige Resa‹: im Übertölpelt-werden des Eindrucks, den man nie bewusst fassen kann, weil er immer schneller als die Wahrnehmung ist — das Fragile des Entgleitens, gefolgt von einer aufmerksamen Anspannung, um die nächste Projektion nicht zu verpassen. Eine Platte, die – um Steppenwolf zu bemühen – gewissermaßen faster than the speed of life ist.
Text
Robert Henschel
Fotografie
© Different Trains Records
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[notification type=“success_alert“ title=““]›Sverige Resa‹ erscheint auf Different Trains Records.[/notification]