Die Mythenmaschine Pop läuft bekanntlich so geschmiert, weil es Spaß macht, die Geschichten und Diskurse zu durchleuchten, zu hinterfragen und dabei immer wieder auf Geschichten hinter den Geschichten zu stoßen, Masken hinter den Masken etc. Boss Hog als All Star-Band um das mal mehr, mal weniger inszenierte Ehepaar Cristina Martinez und Jon Spencer hat es immer wahrlich verstanden, Zwischenböden einzuziehen. Denn wer aus dem New Yorker Umfeld von Bands wie Pussy Galore, Unsane und Honeymoon Killers stammte und dann als Traumpaar des Mülltonnen- und Garagen-Blues’n’Roll vor allem der Neunziger auf dem Noise-Label Amphetamine Reptile veröffentlichte, hatte vor 25 Jahren den absoluten Coolness-Faktor. Noch ein paar schwer überprüfbare Storys: Jon tritt Cristina in Hamburg von der Bühne, Cristina lässt sich nackt ablichten, Boss Hog sind bloß Spencers Abfalleimer, Spencer, der selber auch als Journalist tätig war, sagt einem hoffnungsvollen Fanzine-Autoren nach begnadetem Konzert ‚to fuck off’ und wird dadurch nur noch unsterblicher für den Neu-Schreiberling etc. Großmäuligkeit trifft Hipness trifft Punk trifft Wissen trifft absoluten Sex – die Hüfte eben. Boss Hog sind die verkehrte Schmutzausgabe der B 52’s (davor) und von Le Tigre (danach), aus ähnlichen US-Punk-Quellen gespeist. Boss Hog waren eigentlich immer vor allem Martinez’ Band und nur scheinbar lediglich eine Indie-Augenweide. Obacht! Nimm Funk, Soul, Blues und HipHop dazu und dreh’ es durch den Distortion-Fleischwolf. Fein dosiert. Vier Alben in 27 Jahren sind nun wirklich als ausgeruhter Katalog zu verstehen. Nach knapp 17 Jahren erst die wuchtige E.P. Brood Star im letzten Herbst. Nun Brood X, ohne die Songs vom ‚Star’, also als ideale Weiterführung. Boss Hog bleiben heftig und auf den Punkt. Zehn Songs voller dreieinhalb Dekaden und gleichzeitig topaktuell. Der Kreis schließt sich im Moment der Aktualität von Protest und Mythenzerstörung: Pop spielt und zwinkert mit den Augen, Populismus hat keinen Humor und doppelten Boden. Martinez und Spencer verstehen, so ist zu lesen, ihren Blues Hop’n’Roll als deutliches Statement gegen den neuen US-Präsidenten, der wie ein lebender regressiver Mythos, wie ein schlechter Comic mit leider ganz realen Auswirkungen daher kommt. Dessen offenbar rein symbolpolitische Superego-Handlungen um der Handlungen und Verfestigung des Starrsinns Willen sind gefährlich für Gesellschaft. Ihnen wird hier von den Boss Hog All Stars laut und dreckig und tanzbar metaphorisch auf die trumpistische Fresse gehauen, höre Billy und dessen knallige Anti-Agitationen oder das rumpelige-verschwitzte Black Eyes gleich zu Beginn der Party. Trump ist weder Popstar noch Politiker. Boss Hog sind keine Politiker. Der Blues ist beides und Nummer Eins.
Text
Christoph Jacke
Fotografie
© Bronze Rat Records
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[notification type=“success_alert“ title=““]Boss Hog ›X‹ erscheint am 24.03. via Bronze Rat Records.[/notification]