Brian Jonestown Massacre: »Revelation«

 

Prolog: Willkommen in der Sekte

 
Auf der Flucht aus selbstverschuldeter spiritueller Verkümmerung stößt man sich gern an den erstbesten Gegenständen. Als sei die Materialität der Dinge, die beruhigende Logik der Physik so etwas wie ein Realitätsanker, anhand dessen man sich seiner selbst versichert; der Kreisel des Dominick Cobb. Was aber, wenn es da jemanden gäbe, der dir sagt: »Das, was du da fühlst, ist kein Schmerz, sondern nur die Erwartung eines Gefühls, das du als Schmerz kennst?«. Dann tippte man sich an die Stirn und finge an nachzudenken. Etwa darüber, woher der Fluchtreflex stammte, der das alles auslöste. Und schon ist man angekommen in der primordialen Musikalität von The Brian Jonestown Massacre. Willkommen in der Sekte. »You got to wake up and be a man/ and have a plan!« Wer ein Vierteljahrhundert damit verbringt, sich selbst als Künstler zu rechtfertigen und dagegen anzukämpfen als ewiges Genie ohne großen Wurf in die Annalen des Tons einzugehen, für den ist die Verlockung groß, den von außen an ihn herangetragenen Projektionen zu entsprechen. So oder so ähnlich entstand wohl die Autopoiesis des Anton Newcombe. Aber dieser Mann, der Rumpf der Hydra namens Brian Jonestown Massacre, entscheidet sich dagegen: Nach jahrelanger hedonistischer Selbsterbauung, erscheinen nacheinander ›Aufheben‹ (2012) und nun ›Revelation‹. Zwei Alben, die das Genie dieses Musikers über das grundsätzliche Missverständnis stellen. Zugänglich? Nun ja, in etwa so zugänglich wie der 13th Floor Elevator – rein ist einfach, raus schon weitaus schwieriger; ganz zu schweigen von dem, was einen am Ende der Reise, im Stockwerk, das es nicht gibt, erwartet. Und diese Referenz kommt nicht von ungefähr, erklingen doch gerade die hinreißenden Auftaktgeber „Vad Hände Med Dem?“ und „What You Isn’t“ ganz im (maliziösen) Geist des guten alten Psychosen-Roky. Bockige 1-Ton-Fanfaren, schlingernde Dreampopgitarren und nonchalant (schwedisch) eingesungene Endzeiterkenntnisse wie »your lies are so full of holes that the sun is shining through«. So klingt für The Brian Jonestown Massacre eben Euphorie.
 

»I Hate Jamming.«

 
So sehr die Alben des totalitärkollektiven Kults um Newcombe im schlechtesten Fall Totalverweigerung entsprachen, so sind seine Songs doch im besten Falle auch proaktiv betriebene Popgeschichte. Den ausufernden Kompositionen Beliebigkeit zu unterstellen, ist dabei ein weiteres der allgemeinen Missverständnisse: Newcombe selbst mag hier und da seine Freejazz-Ansprüche haben, die Musik seiner Band aber ist das Ergebnis klarer Vorgaben. So erklärt sich auch der willentlich faserige Spannungsbogen von ›Revelation‹. Nach schmissigem Auftakt (›Unknown‹ mag noch dazu zählen) folgt spätestens im ›Memory Camp‹ der zeitgedehnte Reflux süßlicher Speisen, Instrumentals wie das zähfließende „Duck and Cover“ oder das hippieske Ian Anderson-Gedächtnisstück ›Second Sighting‹ inklusive. Witzig wird der ganze Rekurs dann mit ›Memorymix‹, das zwar durch allerlei mittelschwer verquaste Filter aber doch mit analoger Gelassenheit den augenzwinkernden Abklatsch auf elektronischen Minimal mimt. Newcombes These: Nevermind the Hype! Die Musik des Brian Jonestown Massacre ist praktisch in allen Jahrzehnten zuhause und zeigt, dass sich am Grundrezept des Pop (wie auch immer er verschiedentlich ausgelegt wurde) doch nie etwas wirklich grundsätzlich ändert.
 

Epilog: Never heard a man speak like this man before.

 
Dem Brian Jonestown Massacre zu folgen hat stets auch etwas sektiererisches. Ist man erst in die ketzerischen Mühlen des Anton Newcombe geraten, folgt man ihm auch an Orte, an die man ihm besser nicht gefolgt wäre – das weiß man leider meist erst hinterher. Vielleicht verliert man sein Leben, den Glauben, das Hörvermögen, doch auf jeden Fall hatte man eine gute Zeit. Und mit ›Revelation‹ setzt Newcombe das zweite Zeichen des appeasement in Folge: Dem Mann kann man trauen, solang man ihm nicht alles abkauft.
 
 

Text

Henning Grabow

Fotografie

© Sascha Eisenmann
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]›Revelation‹ erscheint auf A Records.[/notification]
 

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