1925 verfasste der Kunstkritiker Franz Roh mit Nach-Expressionismus eine Abhandlung über die Entwicklung der neuen deutschen Malerei in der Weimarer Republik, die den Untertitel Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei trug. Anfangs noch synonym zur Neuen Sachlichkeit verwendet, bezog sich der Begriff des Magischen Realismus bald auf eine spezifische Ausprägung der Malerei, die jene wiederentdeckte Sachlichkeit einer unterschwelligen Drehung zurück ins Mythische unterzog. Zwar blieb das Phänomen vorrangig auf Malerei und Literatur beschränkt, die Traditionslinie ließe sich jedoch problemlos bis hinein in die gegenwärtige Popmusik verlängern.
Als Hendrik Weber unter seinem Künstler-Alias Pantha Du Prince vor einem guten Jahrzehnt sein Debütalbum Diamond Daze veröffentlichte, zehrte die Musik noch zu großen Teilen von der in den 90er Jahren aus dem Umfeld des Frankfurter Mille Plateaux-Labels hervorgegangen Clicks-and-Cuts–Ästhetik. Die Fundierung des Labels in der damaligen französischen philosophischen Theorie – nicht zuletzt der Name entstammt dem Œuvre Gilles Deleuzes – lieferte seinerzeit die Rahmung für allerhand experimentelle musikalische Praktiken. Neben der Musik von Künstlern wie Alec Empire und Terre Thaemlitz waren es vor allem Ovals Versuche mit defekten Medien, die in der Ästhetik des Fehlers deren Materialität inspizierten: Clicks-and-Cuts bezieht sich dabei auf die Sounds, die beim Abspielen von beschädigten CDs entstehen.
Sechs Jahre später, 2010, erschien mit Black Noise Webers drittes Album, für das er vom Berliner Elektronika-Label Dial Records zum prestige- und geschichtsträchtigen Londoner Plattenlabel Rough Trade wechselte. Es markierte gleichsam eine Abkehr vom eng umrahmten Klangbild minimalistischer House-Musik, um sich vor allem der erzählerischen Form zu öffnen. Auf Black Noise trat erstmals das Verhältnis zwischen Natur und Technik als konzeptueller Grundpfeiler in Webers Musik deutlich in den Vordergrund. Es äußerte sich vor allem in der Verwendung von Field Recordings und der Auseinandersetzung mit deren historischem Kontext: Die Aufnahmen fanden damals im Schuttwald in der Gegend um das Schweizer Bergdorf Atzmännig statt. Der Schuttwald bildete sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Folge eines Erdrutsches heraus, der ein gesamtes Dorf unter sich begrub. ›Black Noise‹ bezeichnet in diesem Kontext eine Art akustischen Indikator für Naturkatastrophen. Das Album ließ sich also durchaus als ästhetische Reflexion darüber lesen, wie sich der Nachhall konkreter historischer Ereignisse in deren technologischer Vermittlung manifestiert — gewissermaßen als Studie über den auratischen Charakter, wie ihn Walter Benjamin in seinem berühmt gewordenen Kunstwerk-Aufsatz formulierte. Für Weber selbst fungierte Black Noise vor allem als Ausdruck für die Erhabenheit der Naturkräfte, das erklärte er seinerzeit im Interview mit der Taz. Klanglich bewegte sich das Album in Richtung Ambient, die elektronischen Ursprünge seiner Vorgänger blieben jedoch als basale Struktur erhalten. Es war vor allem der sphärische Überbau, der diese Impressionen des Erhabenen in Klang zu übersetzen suchte. Das Ergebnis war ein Kunstgriff der Antinomie: träge wabernde Klangschwaden und schwere Bässe grollten über scheinbar leichtfüßig darunter hertänzelnden Beats, ohne dass eines zu Lasten des anderen fiele. Tonangebend war bereits damals Webers Vorliebe für Glockenklänge, die 2012 in Elements of Light, einer Zusammenarbeit mit dem norwegischen The Bell Laboratory, mündete. Die unausweichlich mitschwingende Konnotation des Sakralen schrieb der vorherrschenden Neigung zum Erhabenen obendrein eine Ebene des Mythischen ein. Nicht ohne Grund betitelten Philipp Eckardt und Jan Kedves ihre Rezension zu Black Noise in der Spex damals mit: »Fortsetzung der Romantik mit den Mitteln von Techno« und charakterisierten die Musik als »gespenstisch alpinen Eiskristalltechno«. Das Etikett des Romanciers haftet Weber seither an und lässt sich auch auf The Triad, dem inzwischen fünften und neuen Pantha Du Prince-Album nicht abschütteln. Allein, es zieht ein gewisses Unbehagen nach sich.
Inspiration für seinen jüngsten Streich fand Weber unter anderem im Film. Frau im Mond, Sterne laufen huldigt Fritz Langs 1929 erschienenem Science-Fiction-Stummfilm Frau im Mond, der den Erdtrabanten – in Webers Auslegung – als Ort der ›Konkreten Utopie‹ (Ernst Bloch) stilisiert. Blochs Denken des Utopischen gründet vor allem im Traum, genauer gesagt im Wachtraum, der es dem Menschen erlaubt, aus einer Art vorbewusstem Zustand auf das Selbst zu blicken, um dessen utopische Potentiale zu erkennen. Die daraus erwachsende Unschärfe (das sich im Traum für einen Augenblick selbst entfremdete Subjekt) scheint auch den Kern des Pantha Du Prince’schen Klangkosmos auszumachen: Hier driftet der Realismus ins Magische, bröckelt die Sachlichkeit zugunsten des Mythos.
Wie sehen sie also aus, die Probleme dieser neuesten elektronischen Musik? Zunächst: Blochs Idee der Konkreten Utopie im Besonderen aber auch seine Philosophie im Allgemeinen wiesen – untypisch für einen bekennenden Marxisten – ausdrücklich in Richtung der Religion: In dem Maße, in dem die Verwirklichung der Utopie voranschreitet, messianisiert sich der Mensch. In Bezug auf Frau im Mond erscheint der durchaus verdienstvolle Gedanke um das würdevolle Menschenleben obendrein im Mantel retrofuturistischer Nostalgie: Als sehnsüchtiges Schwelgen in Erinnerungen an die Verheißungen einer Zukunft, die unsere Gegenwart kategorisch versperrt.
»Der Mythos verbirgt nichts. Seine Funktion ist es zu deformieren« schrieb der französische Literaturwissenschaftler Roland Barthes einst. Das gewissermaßen im Subbass mitschwingende Unbehagen in Webers Musik entspringt hier: im Dunst der Triade aus Natur, Technik und Mensch. Letzterer ist der Natur-Technik-Dialektik auf dem neuen Album zur Seite gesprungen. Es menschelt wieder inmitten der digitalen Kälte, denn Webers Soloprojekt hat sich in Zusammenarbeit mit seinem ehemaligen Labelkollegen von Dial Records Scott Mou (alias Queens) und Bendik Kjeldsberg vom Bell Laboratory zum Trio ausgewachsen. Mithin tritt der Mensch hier als Mittler zwischen den magischen Qualitäten der Natur – die als romantisch deformierte Idee des Natürlichen, als rätselhafte, die Vernunft übersteigende Entität erscheint – und der kühlen Rationalität des Technologischen in Erscheinung. Insbesondere das Digitale tritt in dieser Konzeption immer als Mangelhaftes auf, als zu kalt, zu abstrakt und immer mit dem Makel des Unpersönlichen versehen. Konsequenter Weise entstanden die Aufnahmen zu The Triad vor allem mit einem bunten Sammelsurium aus analogen Synthesizern, während Black Noise (und umso mehr dessen Vorgänger) noch digitaler Flickenteppich war. Gleichwohl ist die Referenz an die eigenen Wurzeln in der elektronischen Musik noch immer präsent — ohnehin in der Form des Tracks, vor allem jedoch im Fokus auf den Beat. In diesem Licht erscheint die musikalische Entwicklung seit Diamond Daze auch als sukzessive Verklärung der technologischen Rationalität zugunsten einer Art des Magischen Realismus im Akustischen, wie ihn Franz Roh seinerzeit der Malerei attestierte.
Streitbar ist diese Bewegung keineswegs auf ästhetischer Ebene, das obliegt alleinig dem Geschmack, sondern eher dann, wenn sie im Namen des Utopischen operiert. Denn bleibt bei der Vorstellung eines romantischen Utopia nicht das Schaudern der Vernunft? Dabei lässt sich kaum bestreiten, dass im harten Kern des Techno ein utopisches Bestreben fest verankert ist, man denke nur an Jeff Mills’ Welt-Entwürfe der Sleeper Wakes-Serie, dessen Zusammenarbeit mit dem japanischen Astronauten Mamoru Mori auf Where Light Ends oder mit Woman In The Moon den alternativen Soundtrack zu eben jenem Fritz Lang-Film, der auch Weber inspirierte. Der mag unterkühlt technologisch klingen und doch steckt gerade darin noch immer allerhand spekulatives Potential.
Text
Robert Henschel
Fotografie
© Pantha Du Prince
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