Die Nerven: »Fun«

Es ist ein Jammer. Da tauchen ›plötzlich‹ diese richtig guten deutschsprachigen Punkbands auf (gehäuft im Umfeld vom spitzen This Charming Man Records-Team); ich meine die Sorte Band, die eigentlich zu gut und zu clever ist, als dass sie in mittelmäßig schalldichten Garagen mit halbausgetrunkenen Flaschen um die Wette oxidieren dürfte, und die doch genau dort am besten aufgehoben ist, die nur funktioniert, so lange die Sache mit dem Erfolg eben nicht so richtig funktioniert. ›Fun‹ ist jetzt die zweite wirkliche Platte der Band Die Nerven und man stellt sich schon die Frage, was der Fakt, dass sie sich mit diesem Album beachtlich viel Gehör verschaffen, über uns, über die Musikwirtschaft, über dieses große, krude Spiel von Norm und Devianz im Rahmen des Pop eigentlich aussagt. Vielleicht gar nichts – vielleicht ist das einfach nur ein sehr gelungenes Album, von guten Leuten in obszön heiteren Zeiten.

Während sich die ›musikalisch interessierte‹ Republik entweder von nicht mehr ernst zu nehmenden Gefälligkeitsanarchos in Richtung Sedierung schunkeln lässt, die Dürftigkeit des Deutschen und seiner Musik im Allgemeinen beweint, oder – die hehrste und doch billige Variante – im weichen Bett des Diskurspop mit von Lowtzow und Spechtl kuschelt, existieren Die Nerven seit 2010 unauffällig und konzentriert vor sich hin. Sie sind wie der Partygast, der sich immer nur irgendwo dazustellt, ohne dass man ihn je wirklich wahrnimmt, aber plötzlich steht er kurz hell erleuchtet im Türrahmen, weil irgendeiner besoffen auf den Lichtschalter gefallen ist, und man denkt: cooler Typ. Man fängt an ihn zu beobachten und bemerkt dabei, wie er seinerseits das gelangweilt-exzessive Treiben ringsherum betrachtet, analysiert und im Rauch seiner Zigaretten unzufrieden inhaliert, um es mit Verachtung wieder auszustoßen.

Man kapiert dann, dass man selbst immer viel zu feige für das Leben dieses Typen war. Zu bequem für endlose Stunden in zugigen Proberäumen, für wirklich konsequent verpatzte Lebensentwürfe, für diese Art Freiheit, die meistens mehr weh als gut tut und die einem früher als beabsichtigt Furchen ins Gesicht gräbt. »Wenn du Fehler machst, rettest du dich selbst«, singen Die Nerven dann und »es geht mir besser als ich ausseh’«. Dazu rempeln Bass und Schlagzeug immer wieder gegeneinander, während sie, sich selbst bestätigend, stoisch vorwärts drängeln. Ordentlich Hall gibt der Post-Punk-Party dann noch die nötige Weite und Verlorenheit. Man ergibt sich schnell, fühlt, dass Die Nerven einen schlimmen Namen aber verdammt Recht haben, und dass sie all die Aufmerksamkeit verdienen. Nur man selbst passt da nicht rein, war man doch insgeheim froh, dass man damals jung genug war, um die Distelmeyer’sche Metamorphose zum ›Tausend Tränen Tief‹-Romantiker retrospektiv mithilfe der ›Ich-Maschine‹ nachvollziehen zu können. Aber mittendrin sein? Den Schatz voll Dreck schon im Keim erkennen? Schwierig.

Ich nehme mir also vor, mich zu schämen. Dafür, erst jetzt, da es eh alle kapieren, auf Die Nerven aufmerksam geworden zu sein; und noch mehr dafür, sie im nächsten freien Slot für seichte Subversivität, den mein sattes Leben mir schenkt, heftig abzufeiern. Einfach weil’s gut tut – und weil man beginnt zu akzeptieren, dass die Diskussion über die Schlechtigkeit hiesiger Musik noch nie etwas mit den realen Zuständen in den von Ambitionen und Ausdrucksfuror beseelten Proberäumen dieser Republik zu tun hatte. Redet ihr mal, ich geh ›Fun‹ hören.
 
 

Text

Henning Grabow

Fotografie

© Oli Wolff
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]›Fun‹ erscheint auf This Charming Man Records.[/notification]

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