Supermüll war vor zwei Jahren 30 Jahre alt geworden und wurde mit einem Rerelease und einem Tribut-Album mit u.a. Schneider TM und Dirk von Lowtzow und den Sternen gefeiert. Für manch einen war das sogar der erste direkte Kontakt mit dem Post Punk der Regierung. Mir selbst sind sie auch erst verspätet in den Neunzigern durch die berührende Coverversion der Walkabouts des unglaublich schönen Trennungssongs Loswerden über den popmusikalischen Weg gelaufen. Dank des Labels Play Loud dann kreuzte Supermüll meinen Weg. Kolossale Jugend waren mir klar, die Regierung nicht so wirklich. Musste ich erst weit über 40 werden, um tolle Songs wie Neue Szene, Schule ist aus, Häng hier nicht rum oder Halt’s Maul zu entdecken und zwanzig Jahre nach der großen Zeit deutschsprachigen Diskurs-Pops zu kapieren, warum da die Regierung immer genannt wurde? Frank Spilker (Die Sterne) schreibt in genau diesem Anerkennungstenor ganz ausführlich und tiefgehend auch gleich das Infosheet zum neuen, vierten Studioalbum der Regierung, Essener Variante inklusive Thomas Geier, der zuletzt auch eine feine neue Platte mit Festland produziert hat. Eigentlich hat Frank hier eine profunde Langrezension mit Fan-Eingeständnis im Gewand eines Promotionstexts verfasst — irgendwie seltsam, dieser Trend, Musiker oder Journalistinnen den Waschzettel schreiben zu lassen.
Zurück zur Musik: Sänger Tilman Rossmy hat sich schon länger vom quengeligen Post Punk oder Diskurs Pop in Richtung gefälligeren Songwritertums, das vor allem von seinen Lyrics lebt, entwickelt. Das war nicht zu überhören, obwohl seine immer wieder pointierten, tollen Popsongs (Willkommen zu Hause) voll wunderbar scharfsinniger und dennoch oftmals lakonischer, launischer Lyrics eben doch etwas kurz kamen in den Indie-Öffentlichkeiten der letzten 30 Jahre. Puh. Zeit vergeht. Nun also gilt es, die Regierung mit Raus und auf Basis von Supermüll noch mal neu einzuschätzen, was ungemein spannend ist. Raus mit Mitten Hinein zu beginnen, ist weit mehr als dialektisch. Die Regierung tut gut in Zeiten des nervösen Trumpismus. Rossmy beruhigt durch seine Stimme und beunruhigt im Sinne von rüttelt auf durch seine Lyrics. Schonungslos offen wie eh und je, nimmt uns Rossmy mit in seine Begegnungen mit Patti Smith, der Gesellschaft, dem Konjunktiv 2, Thunfischdosen und sich selbst. Poppiges Geschrammel und leichte Feedback-Schlaufen im Hintergrund (Immer mehr so wie du bist) machen die Referenzen auf einstigen Indie Pop, Post Punk, New Folk und Noise Rock und vor allem auf den vor Jahrzehnten so wichtigen College Rock deutlich, die immer noch mitschweben – gut und niemals über produziert von Norman Nietzsche (u.a. Whitest Boy Alive, Chuckamuck, Masha Qrella). Gleichwohl haben Die Regierung (s.o.) ebenso letzteren als Orientierung gedient. Das ist schon mehr als einfach nur chic. Im deutschsprachigen Indie Pop bleiben sie auffallend minihymnenhaft. Und auch wenn das etwas seltsam klingt, Raus ist ein vollends gutes Album, so richtig entdeckt habe ich persönlich darüber hinaus aber erst jetzt diesen unglaublich zornigen und dennoch verspielten Meilenstein Supermüll. Und das ist doch auch wahrlich eine produktive Vernetzung gegen jede stumpfe Nostalgie. Diese Band sollte man, frau und trans sich (noch mal) vornehmen – in unserer elektrischen Welt, also raus zum Supermüll oder supermüllig raus hier.
Text
Christoph Jacke
Fotografie
© Christoph Voy
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[notification type=“success_alert“ title=““]Die Regierung, Raus erscheint am 24.03. auf Staatsakt.[/notification]