Douglas Dare: »Whelm«

Ein Triptychon. Zur Linken: Thom Yorke in exaltiertem Tanz (Pre-Hipster). Mittig: Antony Hegarty in extravaganter Schönheit. Von dort wandert der Blick weiter auf einen in sich versunkenen James Blake im rechten Teil des Bildes. Dabei gilt: pars pro toto. Wie meinen? Keine Chance zur Beeindruckung mit Namedropping und Verbildlichung? Es geht auch anders: ›Whelm‹, das Debütalbum des Wahl-Londoners Douglas Dare, schreibt sich ein in den wundervoll zwiespältigen, orchestralen Reduktions-Diskurs der Erased Tapes-Familie. Ólafur Arnalds und Nils Frahm sind hier mehr als Brüder im Geiste – hier drückt sich einmal mehr eine Label-Politik in exquisitem Kunstverständnis aus. ›Whelm‹ ist definitiv kein Zufall.

Ausgehend von klassisch geschulter Virtuosität umklammert Douglas Dare hörbar gern das sichere Geflecht weit verzweigter musikalischer Anknüpfungspunkte – unheimlich wirkmächtige, rhizomatische Reminiszenzen aus Pop, Klassik und Dubstep (Schweig still, Mephisto des „Alles-schon-gehört“!). Verhuschte, angedeutete, vielsagende Piano-Kontemplation bildet den Grundstock seines Erzählens. Darüber hinaus aber ist Whelm vor allem ein Überbau an Möglichkeiten, die – und das ist das Erstaunlichste – höchst selten unausgeschöpft bleiben. Dare gelingt der Bogen vom lyrischen Desperat zur theatralischen Melodie – doch weil er das weiß, spult sich seine Musik beständig von hinten nach vorn und zurück. Seinen Stücken ist die allgegenwärtige Präsenz des Jetzt so inhärent wie das: Fuck it. Nicht im Sinne der Überheblichkeit, sondern des bewussten Überlebens eigener Motivik. Alles fließt, setzt an und ab, zelebriert die Gleichzeitigkeit von innerer Entgrenzung und äußerer Abschottung (Producer und Percussionist Fabian Prynn dürfte seinen Anteil daran haben). Introspektion ja, Autismus nein. Immer spricht da ein unbedingter Ausdruckswillen und niemals wird – Zeit, den Begriff aus den Sümpfen des Muckertums wieder hervorzukramen – das Konzept in Frage gestellt.

Konzept? Dafuq? Nun, der LP liegt ein Gedichtband bei und wirklich ist an Dare ein Poet verloren gegangen, der abseitige Themen und historische Bezüge zur eigenen Backstory verdichtet. Die Geschichten geben sich unheimlich unaufdringlich, können dabei aber doch furchtbar existentiell werden. Sei es das Leben im Luftschutzbunker der Londoner Tube (London’s Rose) oder antike Proto-Computer (Clockwork) – Dare folgt dem Prinzip: es gibt nichts, was nichts mit mir zu tun hätte. Was ist das nun? Neo-Klassik? Bäh. Klassisch geschulter Pop mit wundervollen narrativen Ebenen und zeitgenössisch aufgeschlossener Fragmentarisierung? Schon eher. Was immer er im Sinne hatte, es gelingt Douglas Dare in unnachahmlicher Weise und überragend konsistent für ein Debütalbum. Da wächst was Großes.
 
 

Text

Henning Grabow

Fotografie

© Dusan Kacan
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]›Whelm‹ erscheint auf Erased Tapes Records.[/notification]
 

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