Eine Band wie ein Symptom: Ein Abend mit Protomartyr.

The dope cloud that’s descending all over this town is blowing gold dust into the pockets of the undeserving and I’m wrung out.
 
— ›Dope Cloud‹, Protomartyr

 

Dieses Konzert ist wie eine zeitgemäße Inszenierung von Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden — ungefilterte Grandezza der Trostlosigkeit. Faustschlag der Erkenntnis: da vorn, auf der Bühne dieses kleinen Punker-Verschlags, steht das nackte Leben. Inmitten des architektonischen Tableaus krude inszenierter Weltläufigkeit zwischen Fischauktionshalle und Fischmarkt, spricht sich Joe Casey die kargen Reste seiner Seele aus dem Leib. Ja, er singt nicht, er spricht. Und bellt gelegentlich. Und zwar mit einer derart brutalen Lakonie, das jedes Wort im Körper wiederhallt. Überhaupt ist diese ganze Figur fast bis zur Unaussprechlichkeit symbolisch: Das abgehalfterte und eine Nummer zu große Jackett über dem ausgeblichenen grünen Hemd, die achtlos zu tief sitzende Stoffhose und dieses pausbäckige Gesicht… Als wäre Willy Loman (Dustin Hoffman) von den Toten auferstanden und hätte sich auf die Erkenntnis, dass die Aufopferung des eigenen Leibes von den Zurichtungen des Kapitals bestenfalls mit dumpfer Gleichgültigkeit bedacht wird, erst einmal ein Bier genehmigt. Dann noch eines. Und dann den Beschluss gefasst, zusammen mit Leidensgenossen eine Postpunk-Band zu gründen. Voilà: Protomartyr. Und in gewissem Maße trifft es Martyrium tatsächlich: Es steckt in dem leidlichen Verlangen der Musik, zur erlösenden Harmonie vorzustoßen, daran jedoch immer wieder zu scheitern, regelrecht scheitern zu müssen — das ist diese eigenartige Schieflage der Gitarrenriffs, die immer irgendwann abbrechen und zurück in ekstatischen Krach schliddern.

Im Sinnbild des inmitten kreischenden Noises selbstverloren vor sich hin lamentierenden Joe Casey steckt eine tiefe Ehrlichkeit, die diese Musik so großartig macht. Gepaart mit einem Moment ebenso ehrlicher Betroffenheit, ob der Tatsache, dass es um den Zustand des Individuums im Spätkapitalismus, 66 Jahre nach Tod eines Handlungsreisenden, nicht allzu rosig bestellt ist. Dass Protomartyr obendrein aus Detroit stammen, geschenkt.

 
 

Text

Robert Henschel

Artwork

© Hardly Art
 
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14.11.2015 — Berlin, Kantine am Berghain
16.11.2015 — Köln, MTC
20.11.2015 — Utrecht, NL (Le Guess Who-Festival)
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[notification type=“success_alert“ title=““]Das Konzert fand am 11. November im Hamburger Club Hafenklang statt. The Agent Intellect ist Anfang Oktober via Hardly Art / Cargo erschienen.[/notification]
 

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