Hauschka: »Abandoned City«

Ort und Nicht-Ort sind fliehende Pole; der Ort verschwindet niemals vollständig, und der Nicht-Ort stellt sich niemals vollständig her — es sind Palimpseste, auf denen das verworrene Spiel von Identität und Relation ständig aufs neue seine Spiegelung findet.
 
— Marc Augé

 
Die Buchstaben auf dem Artwork zu Hauschkas ›Abandoned City‹ bergen eine eigenartige Verschwommenheit. Eigenartig, weil sie auf den ersten Blick eher konstruiert als geschrieben wirken. Mathematische Präzision, eine Art linealische Kühle stünde ihnen ins Gesicht geschrieben. Wären da nicht diese ärgerlichen kleinen Schlieren — wie von einem Linkshänder gezeichnet. Sie bewirken, dass sich die Buchstaben gen Hintergrund bewegen, gewissermaßen in die Tiefe fliehen — hinein in ein monochrom-suppiges Himmelsgrau. Teilnahmslos thronen sie über einer Bauruine, die die formlose Matschigkeit von – nun ja – eigentlich Allem konterkariert. Aber auch dieses architektonische Wrack ist irgendwie eigenartig: kaum mehr als Gerüst, fehlen ihm sämtliche Außenwände, so, dass man schnurstracks hindurchschauen kann. Oder eher: könnte. Denn aller mangelnden Abgrenzung zum Trotz, schneiden die Pfeiler und Streben kleine Parzellen aus der Geradlinigkeit der Blickrichtung heraus, brechen und lenken sie in Räume, die eigentlich gar nicht da sein sollten.

Derlei Nicht-Orte sind es, für die Hauschka gewissermaßen die perforierten Klangwände mauert. Wobei mauern beinahe zu grobschlächtig klingt. Es ist eher eine bildhauerische Tätigkeit, die sich – im Zwischenraum von Klaviatur und Hammer – in Hauschkas präpariertem Klavier manifestiert. In filigranen Melodien, die sich leger tänzelnd in den Raum begeben, denen jedoch zu einem bestimmten Moment das Schrittmuster zu entfallen scheint. Dann halten sie kurz inne, beginnen von Neuem. Doch es will ihnen partout nicht einfallen und peu á peu bricht sich Verzweiflung bahn, das Motorische der Bewegung drängt in den Vordergrund, die Illusion der Leichtigkeit verfliegt und weicht einer nagelkauenden Nervosität — mehr Hammer als Anschlag. In diesen Gewichtsverlagerungen von Melodie zu Rhythmus blitzt Hauschkas Techno-Vergangenheit durch und es ist bemerkenswert schön anzuhören, wie dieses – im Wahrsten Sinne des Wortes – eintönige Hämmern, die eingestaubte Aura des Klassischen bis auf die Cage’schen Knochen dekonstruiert. Und plötzlich ist da etwas Unbequem-kratziges; wie Schmirgelpapier. Als würden einige der Töne an Wänden reiben, von deren Existenz sie gar nicht wussten. Ein bisher latentes Gefühl der Bedrängnis tritt jäh ins Licht. Und bleibt von da an ständig am Rande des Bewusstseins — wie der ungebetene Party-Gast, der in seiner abgewetzten Lederjacke irgendwie bedrohlich wirkt.

Vielleicht ist es genau das Kippmoment dieser allem innewohnenden Ambivalenz (Melodie/Rhythmus, Veräußerung/Bedrängnis), was den Blick fängt, weil es die Begrenzungen des Raumes kurz aufflackern lässt — wie eine ortsgebundene Fata morgana, die eben jene ›Abandoned City‹ braucht, um in ihr zu entstehen und sie damit gleichermaßen zu negieren.
 
 

Text

Robert Henschel

Fotografie

© City Slang
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]›Abandoned City‹ erscheint auf City Slang.[/notification]
 

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