Illum Sphere: »Ghosts of Then and Now«

Knistern erfüllt den staubigen Kamin, eine Streichermelodie – so bekannt wie vergessen – wirbelt matten Nebel auf, weckt vage Erinnerungen. Wie Geister spuken die einzelnen Elemente durch die menschenleeren Hallen eines kathedralenhaften Raums. Plötzliche Erkenntnis, die Augen weit aufgerissen, scharf eingesogene Luft, zum Ausruf angesetzt. Dann Stille. Der Opener ›Liquesce‹ steht programmatisch für die undurchschaubaren Gesetze, die in der Illum Sphere wirken: Wechselspiele zwischen Traum und Wirklichkeit, Vergessen und Erkennen, Schönheit und Schauder, Existenz und Absenz. Zumeist weder das eine, noch das andere.

Wie Hesses Nebelwanderung, so gestaltet sich die Erkundung des Albums als einsames Streifen durch verhüllte Synthstreicherauen, Basspfade mit gelegentlichen Breakbeatstolpersteinen, fernem Orgelwimmern in den Baumwipfeln und feenhaften Glockenspielen in den Zweigen. Manchmal einfach nur Stille. Und immer dieser geisterhafte Nachhall. Ist er wirklich da oder hängt er nur noch in den Rezeptoren, wie das im Rhythmus des Blinzelns verblassende Bild auf der Innenseite der Augenlider, nachdem man ins Licht geschaut hat?

All die flüsternden Stimmen und verzerrt lachenden Rufe in ›It’ll Be Over Soon‹, man möchte nach Kindern in einem verlassenen Hinterhof Ausschau halten, die in Zeitlupe Hüpfseil springen und mit leeren Augen freudlos jauchzen. Was wird denn nur bald vorbei sein, um Himmels Willen? Der Jubel? Die Jugend? Das Leid? Ihr Lachen verhallt, der Track ist vorbei, die Gänsehaut bleibt.

Dieser Geist, er ist als verbindendes Element auf allen Tracks spürbar. Nicht als Bekannter aus dem Jenseits, der noch schnell etwas zu erledigen hat, bevor er im Lux Aeterna der ewigen Afterhour dem Paradies entgegenschwebt. Nein, dieser Geist wandert in Ewigkeit durch unsere Erinnerungszentren, um zu verstören, um die Bilder und Assoziationen des Vergangenen und Zukünftigen mit Versatzstücken des Unterbewussten zu durchmischen. Dennoch scheint sich Illum Sphere auf seinem Debüt keineswegs der sphärischen, nostalgisch schwermütigen Hauntology Welle verschreiben zu wollen. Vielmehr sind Brüche das zentrale Stilmittel: kaum glaubt man die vielfältig ineinander verwobenen Schichten und unabhängig voneinander fließenden Elemente auseinanderklamüsert und geordnet zu haben, hört man im Nebenraum bereits ein neues. ›Ra_Light‹ öffnet sich buchstäblich wie die schwere Holztür auf dem Cover, gibt den Blick in Richtung Club frei, ebbt ab — doch es ist nicht vorbei. Aus den hinteren Klangdimensionen tönt eine tiefer gepitchte Stimme, die ihr undurchsichtiges Lamento vorträgt: eine, bei allem subtilen Grusel, fast schon humorvolle Wendung. Dann, wie zum Ende einer Geisterbahnfahrt, schließen sich die Tore und man fühlt sich – bei aller aufgesetzten Coolness – doch ein wenig derangiert.
 
 

Text

Laura Johanna Aha

Fotografie

© Shaun Bloodworth
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]»Ghosts of Then And Now« erscheint auf Ninja Tune.[/notification]

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