James Blake: »Wo Stille die erste Geige spielt.«

I don‘t want you to know,

I took it with me.

But when things are thrown away like they are daily,

time passes in the constant state.

So if that is how it is,

 

I don‘t wanna be a star.

But a stone on the shore.

Long door, frame the wall.

When everything‘s overgrown.

 

— James Blake

 
 

INTRO: KURZE KULTURPOLEMIK

Wie historisches Feedback geistert ein Bartleby‘sches »I would prefer not to« durch den Raum. Eine subkutane Angst, die bei Herman Melvilles Protagonist in eine Art körperliche Schockstarre umschlägt — die ängstliche Unfähigkeit des Sich Ent-schließens. Sie scheint programmatisch für die erste Dekade der Nullerjahre. Nicht so sehr in ihrer physischen Ausprägung, als viel eher in dem, was Thomas Oberender in der Zeit »soziales Hintergrundrauschen« (1) nannte: in kultureller Immanenz. Substanzieller noch: als kultureller Imperativ, der im Begriff der Krise und dessen ökologischem Zwilling: der Katastrophe kondensiert. Ölkrise, Finanzkrise, Krisengebiet, Klimakatastrophe. Die kanonisierte Ohnmacht. Aus allen drei Dimensionen unserer Lebenswelt scheint sie in den Alltag hereinzubrechen, um in viertelstündigen Fragmenten der Tagesschau über den hochaufgelösten Fernsehbildschirm zu flackern. Oder gerade nicht zu flackern: um im Schärfer als die Realität eine geradezu groteske Hyper-Nähe der Ferne zu schaffen, die im zeitgleichen Bewusstsein der Irrealität das heimische Wohnzimmer in einen Kriegsschauplatz verwandelt. »I would prefer not to«. Warum auch Vorziehen, wenn die fundamentale Entfremdung von Handlung und Konsequenz jederzeit zum Katalysator der nächsten Misere werden könnte, diesmal vielleicht der eigenen.

Und doch hat sich Bartleby‘s apathisches Lamento nicht zur Maxime aufgeschwungen; sind wir keiner kollektiven Lähmung verfallen. Im Gegenteil: die Angst der globalen Konsequenz scheint sich mit einem Ausfallschritt in lokale Überaffirmation und den auf einem Auge blinden Glauben an ›gut‹ und ›richtig‹ geflüchtet zu haben. In Eier aus Freilandhaltung vom Bauernhof ›um die Ecke‹ und ›grünen‹ Strom. In ein vor dem Über-Ich verstecktes ›I would prefer not to, but since that is no option, I will in spite of my better knowledge pretend to.‹

 

CHORUS: I DON‘T WANNA BE A STAR

Zweitausendundzehn erschien auf R&S Records James Blakes Debüt-EP ›CMYK‹. Und obschon diese ersten vier ›Tracks‹ noch nicht zur großen, feuilletontauglichen Geste ausholten – dafür waren sie noch zu nervös, zu sprunghaft und nicht artifiziell genug –, schien da auf einmal eine Musik zu sein, die es vermochte, ein bis dato diffuses Verlangen zu artikulieren, ohne es tatsächlich auszusprechen. Genauer gesagt: die in ihrem Sprechen einen Gedanken maskierte, der sich weder dem Vokabular der Moderne noch dem der Postmoderne zuschreiben ließ, aber doch in beidem Fluchtlinien fand. Im April des vergangenen Jahres erschien nun mit ›Overgrown‹ das zweite Album und noch immer ist es da, dieses »herzzermörsend traurig[e]« (2) und gleichzeitig in seiner Zerbrechlichkeit schillernde Element, was sich dem Greifbaren entzieht, scheint sogar noch virulenter geworden zu sein, verstärkt im wortgewaltigen Widerhall des Feuilletons. Es ist eine bruchstückhafte Musik, »die die Kraft hat, sich selbst und die Leute und die Apparate verschwinden zu lassen, die sie spielen. Ihnen alle sichtbaren Differenzen auszutreiben, sie zu verklären, unverwundbar zu machen« (3). Da ist etwas Immaterielles, das üppig aus jeder Pore zu tropfen scheint, doch fehlt das Behältnis es aufzufangen. Am deutlichsten kommt es jenen Momenten zur Geltung, wenn Blakes Falsett – vom Hallraum zurückgeworfen – dem eigenen Körper begegnet und an ihm zerbricht. Dann ist da für den Bruchteil einer Sekunde einfach — nichts, der stille Klang des Bruchs. Überhaupt scheint überall in der Musik Stille zu sein. Eine augenscheinlich objektivierte Stille, die dort und dann zu erzählen beginnt, wo und wann der Musik die Stimme versagt. Sie ist gleichermaßen Verräumlichung der Zeit und Verzeitlichung des Raums. Wenn sie spürbar wird, rüttelt sie am Sinn-Konstrukt des Tracks, zerrt es mit der Macht eines kosmischen Staubsaugers auf die Fluchtlinie hin zu einem Ort, den Gilles Deleuze als Chaos bezeichnet. Einen Raum, in dem die granularen Bausteine der Musik atomisiert und Unverbunden suggerieren: es könnte auch anders sein. Diese Stille ist es, die dem erzählenden Blake gegenübersteht und den Inhalt seiner Worte verwischt, nur Hülsen zurücklässt, sobald man sie bemerkt.

Doch auch dieser hintermusikalische Erzählstrang scheint dem Anti-Bartleby nicht in Gänze gerecht zu werden. Viel mehr ist es eine Dualität: das unverblümt Romantische in der »offenherzigen Verletzlichkeit« (4) von sowohl Musik als auch Erzählung, dem man lustwandelnd folgen möchte, das sich jedoch jederzeit als bloße Illusion offenbaren kann und durch die Leere hindurch auf das eigene Selbst verweist. Vielleicht so: ein stetiges Verhandeln zwischen »Hoffnung und Melancholie, Naivität und informierter Selbstgewissheit (›knowingness‹), Empathie und Apathie, Unität und Fragment, Ein- und Vieldeutigkeit« (5).

 

VERSE: WHEN EVERYTHING‘S OVERGROWN

Es ist nicht lediglich die Verlockung der Immanenz, die den Blake‘schen Bann ausmacht, auch seine Erscheinung spiegelt diese innere Zwiegespaltenheit, die eine konkrete Einordnung letztlich zur Viel-Ordnung mutieren ließ. Der verzweifelte Kategoriesierungsversuch versandete schließlich im Post-Dubstep, einem zur Dauerhaftigkeit gezwungenen Behelfskonstrukt. Rabea Weihser beschrieb es in der Zeit treffender als den »Wille zum Pop« (6). In der Tat scheint es viel eher das sehnsüchtige Hineinpendeln in ›den Pop‹ zu sein, dessen Bewegungsmoment die Fesseln des Post-Dubstep-Labels zu sprengen vermag, um mithin die Strukturen eines überkommenen Klassifizierungssystems auszustellen. Eigentlich ist die Musik genau das: das Bewegungsmoment, die Unruhe, ein lustvolles Oszillieren zwischen der zeitlich entkoppelten Räumlichkeit des Elektronischen und der unentrinnbaren Historizität des ›Pop‹. So als würde man versuchen, das Gefühl der Zeitdehnung einer durchtanzten Nacht in den Alltag zu retten. Und umgekehrt: als würde man der Momenthaftigkeit des Versinkens im Groove eine Geschichte geben wollen. Diese charakteristische temporäre Unschärfe – irgendwo an der Nahtstelle von Elektronika und ›Pop‹ – ließe sich vielleicht als ein unspezifisches Dazwischen im Spannungsfeld des Nachspürens einer Art neuer Sehnsüchtigkeit und dem postmodernen Bewusstsein um deren Nicht-Vorhandensein beschreiben. Musik, die im selben Moment Hegel‘scher Weltgeist und dessen postmoderne Karikatur ist. Dieses immer Uneindeutige macht uns – im Exzess des Beschreibens – sprachlos und vermittelt das Gefühl von etwas Neuem.
 
 

Text

Robert Henschel

Fotografie

© Universal Music
 
[tabgroup][tab title=“Musik zum Thema“]
James Blake, »James Blake«, Universal, 2011.
James Blake, »Overgrown«, Atlas Recordings, 2013.
Mount Kimbie, »Crooks & Lovers«, Hotflush Recordings, 2010.
Mount Kimbie, »Cold Spring Fault Less Youth«, Warp Records, 2013.
Gold Panda, »Lucky Shiner«, Ghostly International, 2010.
Gold Panda, »Companion«, Ghostly International, 2011.
Gold Panda, »Half Of Where You Live«, Ghostly International, 2013.
Vondelpark, »Seabed«, R&S Records, 2013.
Airhead, »For Years«, R&S Records, 2013.[/tab][/tabgroup]

[togglegroup][toggle title=“Quellen“]

(1) Oberender, Thomas (1997): Angst in der Pop-Moderne. In: Die Zeit 29/1997.
(2) Hentschel, Joachim (2013): Vielköpfiger Eunuchenchor. In: Süddeutsche Zeitung 06/04/2013.
(3) ebd.
(4) Weiser, Rabea (2013): Ja, er ist der Hoffnungsträger des Pop. In: Zeit Online. http://www.zeit.de/kultur/musik/2013-04/james-blake-overgrown (30/06/2013).
(5) Vgl. van den Akker, Robin; Vermeulen, Timotheus (2010): Notes On Metamodernism. In: Journal Of Aesthetics & Culture, Vol. 2, 2010. o.S.
(6) Weiser, Rabea (2013): Ja, er ist der Hoffnungsträger des Pop. In: Zeit Online. http://www.zeit.de/kultur/musik/2013-04/james-blake-overgrown (30/06/2013).[/toggle][/togglegroup]

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