Jay Daniel: ››Broken Knowz‹‹

Die besten DJs wären ›Griots‹ merkte Paul D. Miller aka DJ Spooky einmal an. Der Griot ist eine alte Figur. Ihre kulturellen Wurzeln lassen sich vor allem auf dem afrikanischen Kontinent ausmachen. Der Griot ist soetwas wie ein nomadischer Geschichtenerzähler, der von Dorf zu Dorf wandert, um sein in Liedern gefangenes Wissen weiterzugeben. Gleichwohl sind seine Geschichten keine fiktiven Erzählungen, sondern speisen sich vielmehr aus historischen Ereignissen. Er ist also soetwas wie ein poetischer Historiograf, ein Geschichtsschreiber, der kleine Augenblicke aus dem Almanach seiner historischen Situation schneidet, um sie zu vertonen. In dieser Analogie wird der Track gleichsam zur Erzählung, die jenseits der Plattenrille Aufschluss über ihren kulturellen Hintergrund gibt. Gewiss, Broken Knowz, Jay Daniels Debütalbum ist kein DJ-Album, etwa im Sinne eines Mixes. Man könnte sich also – nicht ohne ein gewisses Maß an Legitimität – am Begriff des DJs aufreiben. Und läge dabei doch falsch. Insofern nämlich, als derselbe auf ein bestimmtes Handwerk, ein verweben oder collagieren verweist, eine bestimmte Fingerfertigkeit, mit der auch Daniel seine Tracks konstruiert. Vielleicht ist also der Mix im Großen, was der Track im Kleinen ist. Allein, welche Geschichten das Gewebe der Tracks anreichern bleibt zu erkunden.

Daniel stellt seinem Albumtitel drei Deutungsebenen zur Seite. Broken Knowz, das ist zunächst das Idiom für die abgebrochene Nase der Sphinx. Knowz verweist aber auch auf ›knowing‹ und ›knowledge‹, also auf eine bestimmte Form des Wissens. Folglich auf ein zertrümmertes oder fragmentiertes Wissen, das – wie Daniel schreibt – dem afrikanischen Kontinent von den Europäern geraubt wurde. Geraubtes und zerbrochenes Wissen — als wäre es eine Reliquie, die bei ihrem Transport zu Bruch gegangen ist. Es gibt in John Akomfrahs Video-Essay The Last Angel Of History (eine Dokumentation zu den zentralen Konzepten des Afrofuturismus) eine Szene, die eben diese Idee verbildlicht: Der Data Thief, die Hauptfigur des Films, ist ein Zeitreisender, der von der Zukunft aus zurück in die Vergangenheit des schwarzen Kontinents reist. Er ist mit einer Art Röntgenbrille ausgestattet, die ihn in seinen archäologischen Fundstücken Ausschnitte aus der Geschichte des Kontinents, die letztendlich auch seine eigene Geschichte ist, erkennen lässt. Doch alles bleibt fragmentarisch. Was fehlt ist der Code, mit dem sich diese vereinzelten Bruchstücke zu einer einheitlichen Erzählung verkoppeln ließen. Das zerbrochene Wissen ist zugleich die zerbrochene Geschichte einer schwarzen Identität. Auslöser dieses Bruchs ist der Atlantische Sklavenhandel. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts verfrachten die Europäer Schiffsladungen von Sklaven von Afrika aus in die ›neue Welt‹, wo sie wie Vieh weiterverkauft und eventuelle Familienbande systematisch aufgelöst werden. In den folgenden Jahrhunderten, bis die Sklaverei Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem 13. Zusatz zur amerikanischen Verfassung aufgelöst wird, zerfällt so jegliche Form einer kollektiven Vergangenheit. Der britische Kulturkritiker Kodwo Eshun beschrieb dieses Moment einmal treffend als das ›founding trauma‹ der schwarzen Identität. Womit wir bei Daniels dritter Deutungsebene angelangt wären: Broken Knowz, das ist das durch jahrhundertelange Unterdrückung gebrochene Volk, dessen Identität sich gleichsam nur aus fragmentarischem Wissen speist. Und die zudem eine Identität ist, die sich aufgrund ihrer historischen Entwicklung immer nur über ihren weißen Widerpart vernehmen kann — ›double consciousness‹, zweifaches Bewusstsein nannte das der schwarze Bürgerrechtler W.E.B. Du Bois zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

All das durchtränkt also den kulturellen Unterboden auf dem sich Daniels Debüt bewegt. Was sich bewegt, das sind vor allem Drums. Broken Knowz ist im besten Sinne ein äußerst karges und rohes Album, das fast wie eine Sammlung rhythmischer Skizzen wirkt. Aus eben dieser Kargheit ziehen die Beats zugleich eine unsägliche Kraft, die sich nur mühsam in Synthesizerschwaden abdämpfen lässt. Die ästhetische Referenz zur Detroiter House-Ikone Theo Parrish drängt sich hier beinahe auf, nicht zuletzt der Anleihen beim Jazz halber. Aber auch das ist natürlich ein großes Kompliment.
 
 

Text

Robert Henschel

Fotografie

© Devin Williams
 
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