Kelis: »Food«

This is the real thing,
the real thing about us,
welcome to the world.

 
– Kelis Rogers

 
Endlich. Kelis war Teil der Jugend, Teil des damaligen R&B und Hip Hop – Wahnsinns. Ohne Frage Clubhits, aber irgendwie dann doch nicht das Ding für die Ewigkeit. Gespannt wie bei einer alten Schulfreundin sollte das Wiedersehen/Wiederhören sein. Zuletzt hörten wir uns, als 2009 ihre Scheidung vom HipHop-Giganten Nas öffentlich wurde. Und nun – 2014: Der gemeinsame Sohn Knight verteilte – ganz bodenständig – mit seiner Mama im Kelis Food Truck auf dem SXSW im März Essen an die Fans, um das neue Album zu promoten. Denn anstatt sich auf Unterhaltszahlungen ihres Ex-Gatten auszuruhen, mischte Kelis die Karten noch einmal neu und widmete sich einer weiteren Leidenschaft: La Cuisine. Ausbildung zur Köchin: kein Problem. Madame macht ihren Abschluss an der renommierten Kochschule Cordon Bleu. Stark präsentiert sie Kochen als Passion und nicht weibliche Pflicht.

Während also so manch andere Dame des Musikbusiness mit Diätplänen beschäftigt ist, hat sich Kelis neuen Rezepten zugewandt, die sie nun auch musikalisch präsentiert. Ist das etwa Feminismus 2.0?! Es ist sicher nicht zu viel gesagt, wenn man ›Food‹ als die Haute cuisine ihrer gesamten Karriere bezeichnet. Das gegenwärtige Soul Kitchen liegt nämlich an der US-Ostküste: Kelis’ Stimme klingt rauchig, voluminös und präsent – angekommen. Stimmlich waren ihre Leistungen natürlich vorher nicht schlecht, aber vielleicht eher unspektakulär. Diese Platte wirkt im Vergleich dazu wie eine Offenbarung: »Seems like no one is surprising anymore; it’s not that I’m ungrateful, I’m just a little bored« singt sie auf ›Floyd‹ und das darf sie. Ich kann nicht mal das grausame Wort Comeback über die Lippen bekommen. Denn das ist es einfach nicht, vielmehr die überraschende, wundersame Wandlung der Kelis. Eine düstere und gleichzeitig warme Stimme. Auch Vintage-Soul ist als Bezeichnung unpassend. Kelis hat keine 50ies oder 60ies-Kopien kreiert, sondern macht viel mehr ihr eigenes Ding. Ihre Hymnen an die vergangenen Zeiten: Soulmusik für die Gegenwart und Zukunft. Alle Motown-Vergleiche würden nicht ausreichen. Kelis hätte wohl auch weniger die Label-Politik des Hierarchen Berry Gordy unterschrieben. Zu extravagant und eigenwillig, um in irgendeine Schublade von zwar guter aber weichgespülter Soulmusik gesteckt zu werden. Keine Kleidungsvorschriften und kein Benimmkurs hätten Kelis zu der Person gemacht, die sie uns nun auf ›Food‹ präsentiert. Vielleicht eher Team Stax, aber darüber ließe sich lange streiten. Nennen wir sie einfach mit Beyoncés Worten Grown Woman. Dreamgirl à la Diana Ross, aber wie gesagt ohne den Berry Gordy – Anteil.

Selbstbewusst und emanzipiert führt sie durch das Album. Mit ihrem Einstieg ›Breakfast‹ beginnt nicht nur ein guter Tag, sondern endet auch eine gute Nacht — »maybe we’ll make it till breakfast«. Schnell stellt sich mit der Bassline die Frage, ob etwa Mark Ronson das gute Stück produziert hat. Aber der Tisch für ›Food‹ wurde von niemand geringerem als Dave Sitek gedeckt. So sind neben kulinarischen Klassikern wie ›Jerk Ribs‹, ›Friday Fish Fry‹ auch sanfte Klaviermelodien bei den morgendlichen ›Biscuits n‘ Gravy‹ zuhören. Genauso zeigt sich bei ›Bless the Telephone‹ eine sehr liebliche Kelis zur Akustikgitarre. Die Vielfältigkeit reicht so weit, dass ich mich bei ›Change‹ etwa an Robert Aldrichs Vera Cruz erinnert fühle oder ›Dreamer‹ auch als James Bond-Titelsong durchgehen würde. Da schließt sich selbstverständlich der Kreis zu unseren 60ies. Natürlich sind hin und wieder auch auf schöne Art und Weise ihre R&B und HipHop Ursprünge zuhören. So ist ›Cobbler‹ ein gutes Potpourri ihrer Vergangenheit und Gegenwart.

Mit den Vorauskoppelungen ›Jerk Ribs‹ und ›Rumble‹ wurde sowohl auditiv als auch visuell bereits angedeutet, dass wir es hier mit einer ganz anderen Dame zu tun haben. Nature vs. Nude. Auf die Nacktheit aus der Vergangenheit kann verzichtet werden. Klassisch schön im 60ies-Stil. Ja, auch Musik liebt Mode und für Kelis ist sie eine weitere schmackhafte Zutat für ein gelungenes Auftreten. »I’m just fine by myself but I don’t know who’s gonna help you« ist hier die Ansage und neben dem üblichen Herzschmerz geht es auf dieser Platte wirklich um mehr. Eine Frau, ein Wort. Ein Album, eine Seele. Kelis ist angekommen ohne viel Drama und Pflicht zur Etikette. Welcome to the world!
 
 

Text

Lisa Riepe

Fotografie

© Estevan Oriol
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]›Food‹ erscheint auf Ninja Tune.[/notification]
 

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