Liturgy: »Renihilation« (Reissue)

»Moloch und Minusmensch« überschrieb Christoph Schmitz jüngst seine Gegenwartsdiagnose des Black Metal im Cicero. Der Impressionismus der Gegenwart sei das Ergebnis gesellschaftlicher Veränderungsprozesse und Soundtrack der flüchtigen Moderne. Selbst wenn man nicht so weit gehen möchte: Die Evolution des Black Metal ist ein spannendes Anschauungsobjekt geworden. Wir beobachten Bands wie Opeth oder Anathema, für die das schwere Gerät ihrer früheren Tage nur noch als ganz schwacher Bezugspunkt dient. Die einen driften gekonnt an den Rand des Kitschs, der, seien wir ehrlich, irgendwie auch schon immer im Pathos des Metal angelegt ist; die anderen bewerben sich in Sachen Kunstanspruch direkt am Court of the Crimson King. So oder so ist die Welt des Black Metal kein in sich kurzgeschlossenes, krampfhaft deviantes System mehr. Dieser Tage wird mit Liturgy’s Debütalbum Renihilation darüber hinaus ein Album via Thrill Jockey neu aufgelegt, das den Raum in dem und aus dem sich Black Metal artikuliert, erneut erweitert hat. Rekontextualisierung allerorten also. In diesem Sinne: Wo fing das an, was ist passiert?

Renihilation dürfte im Rückblick als der erste zarte Keim eines bis dato unerhörten Black Metal gelten. Bands wie Deafheaven, Wolves In The Throne Room oder eben Liturgy mögen im verschworenen Kreis der Puristen, insbesondere aus dem skandinavischen Umfeld, nicht sonderlich gut ankommen. Dafür eröffnen sie uns die Möglichkeit, endlich wieder ironiefrei über Blastbeats zu reden. Tracks wie der titelgebende ›Renihilation‹ oder ›Pagan Dawn‹ tragen zu geringeren Teilen genauso das Genom orchestralen Post-Rocks und verkopften Shoegaze in sich, wie sie auf einer basalen Ebene an die schwer atmende Zerstörungswut des Drone erinnern. Hier wie dort ist das einzelne Element so wichtig wie sein Kontext, wird ein Spannungsbogen im Sinus-Fieber gebaut – jenseits linearer Dramaturgie. Das gibt den Songs eine Vitalität zurück, die der missverstandene Black Metal gerne zerfetzt sehen würde. Statt auf Teufel komm raus (Ha Ha) konstante Extreme durchzudrücken, spielen Liturgy lieber das Spiel der Amplitude mit.

Ist das also die schleichende Kommerzialisierung einer der zähesten Subkulturen überhaupt? Nun ja. Niemand, der sich den musikalischen Konstanten dieses Genres bedient, wird Gefahr laufen, am Ende Konsensmusik zu machen. Dafür ist sie zu weit von den Mechanismen der Massenkompatibilität entfernt. Auch befinden wir uns zwar längst jenseits der Schwarz/Weiß-Diskurse um die Dämonisierung respektive Verharmlosung dieser so extremen wie einzigartigen Welt. Trotzdem: Satanismus, Antisemitismus, Rassismus? Noch immer ein Thema, noch immer ein Problem. Aber wie so oft eignet sich Musik – gleich welcher Spielart – letztlich nicht sehr lange dazu, starre Ideologien zu transportieren. Die den Genres und Spielarten der Subkultur zugrunde liegenden Zeichen, die Symbolik und vor allem das stilistische Gerüst landen früher oder später zwangsläufig in den Händen derer, die Dinge weiterentwickeln wollen.

Sie landen in den Händen von Liturgy oder Deafheaven, die, gerade weil sie nicht aus dem Kernbereich der Szene stammen, mit unverstelltem Blick die Basis des Black Metal bearbeiten. Plötzlich fällt Licht auf die Kompositionen und auch auf der inhaltlichen Ebene wird die zweite Evolutionsstufe gezündet: Ausbruch, Rebellion, Devianz gegenüber dem Konformismus war der Ausgangspunkt, die Angst vor der atomisierten Subjektivität und Vereinzelung folgte. Inzwischen veröffentlichen Liturgy ihren transcendental black metal mit weißem Cover und einer positivistischen Grundhaltung – Renihilation statt Annihilation. So vollführt der Black Metal den Dreisprung aus Hass, Angst und Hoffnung; Externalisierung, Internalisierung und Transzendentalisierung. Ist das also der Übergang in den Spätimpressionismus, Black Metal als Avantgarde? Fest steht, für Bands wie Liturgy und ihren ideologischen Kopf Hunter Hunt-Hendrix ist die abstrakte sinnliche Wahrnehmung des Extremen wohl weitaus interessanter als das bloße Abbild. Wenn sie diese auch noch in so faszinierende Musik verwandeln, ist es letztlich auch egal, wie man es nennt.
 
 

Text

Henning Grabow

Fotografie

© Jason Nocito
 
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[notification type=“success_alert“ title=““]Die Reissue von Renihilation erscheint auf Thrill Jockey Records.[/notification]
 

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