Als vor drei Jahren Nicolas Jaars ›Space Is Only Noise‹ erschien, erhielt ganz unversehens – als hätte man sie heimlich durch die Hintertür hineingelassen – eine neue Sensibilität Einzug in die elektronische Tanzmusik. Eine Art laissez faire-Gefühl fernab von Beliebigkeit, was angenehm ungewohnt war. Wie Gewebe machte es sich unter den Tracks breit — hier fein- dort grobmaschig; ließ jählings Elemente durch die Zwischenräume hinab in die Stille sausen, um sie andernorts keuchend und mit abgeschürften Knien wieder auftauchen zu lassen. Als würden die Tracks ausfransen wie abgetragene Jeans. Diese Löchrigkeit abseits der Konnotation von kaputt (so wie die Jeans eigentlich erst zur Jeans wird, wenn sie beginnt sich aufzulösen) vermochte eine ganz bestimmte Stimmung hervorzurufen, die diffus entlang patinabehafteter Nostalgie und Gedankenverlorenheit mäanderte.
Kaum sind die ersten Töne von Sean Piñeiros ›Saved Once Twice‹ verklungen, ist sie wieder da, diese süßliche Wehmut — Rotweinschwere. Nicht, weil Jaar plump als Blaupause gedient hätte, vielmehr rührt sie von einem bestimmten Umgang mit Klang her. »It makes me happy that my ableton session is the meeting place of so many different pieces of music and other samples that have seemingly nothing in common.« Piñeiro der Architekt mit ethnografischem Ohr: er konstruiert die Räume, innerhalb derer die Samples und Klangmoleküle ein Eigenleben entwickeln. Wie in leeren Fabrikhallen streifen sie umher, um gelegentlich aufeinanderzutreffen und zaghaft Gespräche zu beginnen. Das soulige, seltsam im Fluxus der Zeit verloren gegangene Vokalsample, das sich am Klavierdeckel stützt (›Freylock‹) — und plötzlich ist da die vage Andeutung eines Tracks. Doch hegt er keinerlei Ambition sich weiterzuentwickeln. Wie selbstverständlich gibt man sich die Hand, au revoir. Anderswo entwickeln sich regelrecht vielstimmige Erzählungen, die sich zu Rhythmen und Melodien verdichten (›Tunnel To Castle‹): Diskurs-Disko. Was die bunte Chose vereint ist der Stoff, die Bühne auf der sich alles abspielt: eine radikale Unverbindlichkeit des Raumes, die zwar rahmt, doch nicht verpflichtet. Sie lässt von Track zu Track eine andere feine Nuance innerhalb des aufgespannten Emotionsspektrums aufblitzen — so komplex und scheinbar willkürlich wie Raufasertapete. Diese Unberechenbarkeit, sie ist einer der großen Reize von ›Saved Once Twice‹, der einen selbst zum Ethnologen dieser Klangräume werden lässt.
Text
Robert Henschel
Fotografie
© Matthias Heiderich
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[notification type=“success_alert“ title=““]›Saved Once Twice‹ erscheint auf Ki Records.[/notification]