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»In jeder Nennung konstituiert sich ein Außerhalb, das bislang jeder mit sich selbst abmachen musste. Nun ist das Außerhalb spinnwebenfein vernetzt und als Community digital abgebildet. Aus dieser Community rekrutieren sich die Follower, die sich langsam darüber klar zu werden beginnen, dass sie vielleicht gar keine Kulturfolger sind, sondern durch Unterhaltungsbrösel auf Abstand gehaltene Abgehängte.« (Schikowski 2013: 43) Das, was der Literaturwissenschaftler Michael Schikowski in seinem schlauen kleinen Band Warum Bücher? hier beschreibt, kann man als eine der Grundlagen metamoderner Verzweiflung nennen. Aus dem Kontingenz-Overload (der einst etwas verzerrt Informations-Overload hieß, welcher aber nicht den entscheidenden Druck ausübt) der (zu) vielen Möglichkeiten entwickelt sich oftmals ein Surfen zwischen Klarheiten und Doppelbödigkeiten. Mit Schikowski gedacht, ist der oder die nicht Genannte in der Popmusik früher eben eventuell der oder die noch nicht Genannte oder der oder die auf dieser Ebene noch nicht Genannte. Beleidigtsein wollte gelernt sein. Heute aber nicht genannt zu werden, erscheint fast als Kunststück, denn längst haben die nicht Genannten ihre eigenen Plattformen errichtet. Dies ist – ganz metamodern – nicht gleich ein Plädoyer für autoritäres Besserwissergehabe. Gleichwohl – soviel Schummeln sei erlaubt – musste auch für den zweiten teil meiner Kolumne ausgewählt werden, musste ich vieles beiseite lassen. Ganz unwissenschaftlich möchte ich an dieser Stelle keine Kriterien definieren, sondern wunderbar subjektiv auf Auffallen hinweisen, so dass eben im ganzen ›so far‹ auch mal eine Veröffentlichung aus dem April sein kann. Knapp zwanzig Jahre nach meinen ersten Fan-artigen Schreibübungen habe ich mich emanzipiert und zumindest leicht vom Veröffentlichungsplan der Industrien etwas (!) gelöst. Nun, ›from now on‹ bin ich also als Autor halbwegs erwachsen geworden.
Eine Band, deren neues Album mich dabei in den letzten Tagen sehr viel begleitet hat, weil sie schon länger nicht ungenannt bleibt und viele Verweise ›so far‹ und ›from now on‹ konstituiert, sind The Raveonettes, die etwas zu sehr noch ›from now on‹ waren, um eigentlich perfekt zum begeisternden Soundtrack von Sofia Coppolas Lost in Translation aus dem Jahre 2003 zu passen, eine Klangtapete, die dieses vielleicht auch metamoderne Spiel aus bisher und von nun an nahezu ausgeklügelt anbot. Sune Rose Wagner und Sharin Foo gelingt es, mit neuer Musik an altes anzuknüpfen, nämlich ihre eigenen Geschichten sowie die des Zuhörenden. »I don’t wanna be young and cool« aus dem unglaublichen ersten Song ›Endless Sleeper‹ bringt schon alles auf den Punkt. Wie kann man eigentlich gleichzeitig nostalgisch und voll von Haufen von Geschichte (Blumfeld), absolut zugegen und vergangenheitsvergessen sowie Utopien suchend sein? Die Raveonettes vertonen dieses Gefühl, halten es für ein paar Songs fest, sind insgesamt etwas ausgeruhter geworden. Nein, weder saturiert noch wiederholend, sondern charmant verweisend; ein Schelm, wer bei ›Sisters‹ an ›Gimme Shelter‹ der (Rolling) Stones oder – noch besser und später – der frühen Sisters (of Mercy) denkt. Wobei es hier eben einfach Spaß macht, schelmisch zu sein. Womit wir wieder bei Nostalgie trifft Hier und Jetzt trifft Suche anderer, besserer Welten sind. Im Grunde ermüdet mich das Mitgerissensein mit diesem tollen neuen Album der Raveonettes, sie sind etwas bunter und unkreischiger als zuletzt, saugen alles auf, bleiben mir dieses Mal nichts schuldig. Ich könnte hier enden. Und mich wieder hinlegen.
Im Grunde ganz ähnlich in meinen Ohren und somit meinem Hirn (wer hört schon mit den Ohren?) hängen geblieben ist (seit dem großartigen Album The Matriarch and the Wrong Kind of aus 2012 auch nicht zum ersten Mal) das neue Kompendium des Norwegers Stian Westerhus, hier mit seinem Projekt Pale Horses. Westerhus, ein, ja, jetzt mal ganz unironisch und autoritätsbedacht, virtuoser Gitarrist hat bereist mit Nils Petter Molvær und Jaga Jazzist aufgenommen. In seinen eigenen Projekten wird deutlich mehr experimentiert, was eben dann auf Maelstrom zu langen, verwinkelten, ausufernden Stücken führt, die in ihren schwächsten Momenten an die besten der mir zu oft zu pathetischen Kunstrocker Radiohead oder grungigen Bombast der eher uninteressanten Sorte (Pearl Jam und so ein Scheiß) erinnern. Die kürzesten Stücke dauern knapp sechs Minuten, das gefällt mir an sich sehr gut, Westerhus (als Pale Horses mit dem Keyboarder Oystein Moen und dem Schlagzeuger/Perkussionisten Erland Dahlen) lässt den klanglichen Dingen auch mal ihren Lauf. Warum das Treibenlassen und Offensein für Wege hier funktioniert, ist die fehlende Aufgesetztheit mancher Gegniedelband in diesem Genre und mit dieser Zeit für einzelne Songs. Ist schon OK. Die Raveonettes haben mich milde gestimmt. Nein, Quatsch, Westerhus’ Album liegt schon lange immer wieder oben, um mich zu erinnern, dass da was ist und ich das mal wieder anspielen sollte auf einer der vielen Stationen (soviel zum Thema autoritäres Obenliegen, hahaha, siehe Schikowski). ›Nights and Sleepless Days‹ vereint das alles charakteristisch, tief und schwer und mollig.
Ähnlich versponnen, ja, manchmal spinnert, wirken Amen Dunes’ Songs, weit draußen und doch auch seltsam zwischen ›so far‹ und ›from now on‹: Damon McMahon hat sich vom Alleinsein verabschiedet und eine Art Band zusammengestellt, sich von Jordi Wheeler und Parker Kindred als fixes Gebilde unterstützen lassen, um das herum sich dann etwa Dave Bryant und Efrim Menuck des kanadischen Orchestral-Krach-Konglomerats Godspeed You! Black Emperor sowie Colin Stetson und Elias Bender-Ronnenfelt gesellen und Love zu McMahons aufwendigstem Werk ›so far‹ machen. Das ist schon Folk, ja, ein bisschen verhuscht und geisterhaft wirkt es in ganz leichten Ansätzen, man kann aber nicht Olaf Karniks Beschreibung für hauntologische Kulturen am Fallbeispiel Amen Dunes voll und ganz gelten lassen: »Vergangenheit wird als vergangen kenntlich gemacht« (Karnik 2012: 116-117) Das geschieht seitens McMahons eher am Rande im Sound, wenn etwa Acid Folk, Neil Young oder mittelalten Bands wie Galaxie 500 oder das schon erwähnte kanadische Umfeld frei flottierender Kollektive freilich anklingen (›Loney Richard‹).
Gespenstisch und wesentlich verschrobener und gleichzeitig hitverdächtiger, tanzbarer (und ist das nicht, werte Leserschaft, metamodern?) als Amen Dunes sind die Stücke von How To Dress Well, dem baldigen Thirtysomething aus Chicago. Tom Krell lässt mit seinem Projekt seine sonstige Dozententätigkeit als Philosoph scheinbar (vielleicht nicht wirklich) verschwinden, wobei, also ganz unverkopft wirkt seine Musik nicht, man/frau/etc. kann das aber außer Acht lassen, kann es auch zum Anlass von weiterer Reflexion nehmen, vgl. Jens Balzers lesenswerte Besprechung in der FR (2014: 34): »Und wo es in der Musik von How To Dress Well bislang vor allem um ungestillte Sehnsucht und Melancholie, um die Erinnerung an verflossene Gefühle ging, handeln die zwölf neuen Lieder nun von reiner Gegenwart und Intensität – vom Erreichen des Erwünschten, von Glück, Verliebtsein und Liebe.« Schön, dass Ankommen auch mal gut klingen kann im oftmals leidenden nichtretortigen Pop. Deswegen sind How To Dress Wells Ideen und Konzepte aber keinesfalls rein oder klar. Um es mir einfach zu machen, besser kann ich es auch nicht sagen, als noch mal Balzer in Bezug auf Krells Zitationsweise zwischen Radiopop, Emocore, Synthie-Pop, Stadionbands und Kitsch sowie seinen Gesang zwischen (ähem) R. Kelly, Michael Jackson und Beyoncé: »So geht es am Ende doch wieder darum, im Anderen das Eigene zu finden und im Nicht-Ich das Ich: Es gibt keinen anderen Weg zur Wahrheit als durch die Lüge und die Verkennung hindurch.« (Ebd.) Hey, it’s up to you, aber it’s not beliebig! Das wirkt viel glatter, als es aufgebaut ist, Obacht: ›House Inside (Future Is Older Than The Past)‹. In gewissen Momenten des Leiserdrehens oder Abgelenktseins beginnen Krells Songs eine leichte Seichtigkeit auszustrahlen. Vielleicht ist mir an diesen Stellen einfach nicht so sehr nach Genügsamkeit und Seeligkeit (Soul!) wie Krell oder Balzer, es ist dann doch eher wieder der Blues.
Talking about the blues: In der ersten Folge meiner Kolumne (siehe hier) erwähnte ich das tolle Tribut an den verstorbenen Swamp Blues-Musiker Jeffrey Lee Pierce und dessen vergangener Band The Gun Club: Ausgräber und Weiterverarbeiter von dessen Songskizzen ist sein Weggefährte Cypress Grove. Dieser hat sich nunmehr mit der Spoken Word-, Post Punk- und No Wave-Ikone Lydia Lunch an ein Album begeben, welches endlich den popmusikalischen Begriff des Wüsten-Blues von seiner seltsam-rockistischen Konnotation befreit. A Fistful of Desert Blues macht eine klare Ansage, so wie sie von Frau Lunch neulich live auf Tour auch gemacht wurde, weswegen sie und ihre unzähligen Kooperationen (u.a. mit Foetus, Rowland S. Howard, Kim Gordon, Henry Rollins und Gallon Drunk) für viele eine Art Vorbild des Swamp Blues mit experimentellen und Industrial-Elementen bedeutet. Lunch ist vielleicht etwas behäbiger geworden, mit Gläsern schmeißt sie immer noch bei Auftritten, und, viel effektiver, mit Worten. Diese Sprachmächtigkeit macht sich Cypress Grove zunutze und liefert Lunch einen unglaublich passenden Sound. Lunch stand für mich immer in der Nähe von dreckigen Großstädten, lasterhaften Vierteln in Berlin, New York oder London. Grove hat sie mit nach draußen genommen und lässt Lunch fast weise-böse klingen, geflucht, gehaucht, geschimpft wird weiterhin, nur fast schon ein wenig introvertierter (höre ›When You’re Better‹ oder ›Devil Winds‹, da sind wir wirklich beinahe schon wieder beim Gun Club angekommen, ach, geliebte desolate Achtziger). Waren die Sounds zu Lunchs Storytelling zuletzt auf dem gemeinsamen Album mit Mia Zabelka und Zahra Mani noch elektronisch und minimalistisch, so geht Grove jetzt auch reduziert, aber doch beinahe folkloristisch vor (inklusive eines leichten Augenzwinkerns aus dem Fantum zu Spaghetti-Western). Dabei bleibt sie alles andere als freundlich. Für Lunch-Liebhaber erscheint das unglaublich konsequent, für Neueinsteigende wird klar, warum so unterschiedliche Künstlerinnen wie Peaches, Pharmakon oder Warpaint Lydia bewundern.
In bestimmten Nuancen ist Ramona Lisa gar nicht so weit weg von Lydia Lunch, vielleicht hat sie sich u.a. deswegen so lange auf meinem Rezensionsstapel am verstaubten Fenster gehalten, veröffentlicht wurde ihr Album Arcadia schließlich schon im April. Der Auftakt hätte in seiner Dunkelheit ein gleitender Übergang von Groves und Lunchs Wüste zu einem seltsamen Schloss (siehe das verspielte Cover-Artwork von Arcadia) sein können: Caroline Polachek aus dem in seiner Mischung aus Geschichte, Selbstbewusstsein, Behauptung und angekränkeltem White Trash (obwohl, einfach mal wieder auf eines der hiesigen Bürgerämter gehen) beeindruckenden New York scheint diese Melange aus Süßigkeiten, Trauer, Melancholie, leichter Aggression, Coolness und all dem anderen alltäglichen Wirrwarr in ihre Songs zu packen. Ihre Band Chairlift beiseite lassend hat Polacheck sich dem Laptop zugewandt und eine Art Neuversion von Synthie Pop erbaut, die mit ›Backwards & Upwards‹ sogleich einen kleinen Hit mitliefert. Sie selbst nennt das dann Ramona Lisa bzw. ›Pastoral Electronic Pop‹. Wenn sie mit pastoral etwas im positiven Sinn Tröstendes, in den Arm Nehmendes meint, ohne gleich wieder einem Gott zu frönen, also religiös-atheistisch im Sinne des US-amerikanischen Philosophen und Rechtswissenschaftlers Ronald Dworkin (vgl. Dworkin 2014), dann erscheint das nachvollziehbar. Denn die Songs von Ramona Lisa, ja, reinigen und ermutigen. Echt jetzt. Wobei eine leicht rotzige Attitüde (siehe Lydia Lunch) bleibt.
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To Rococo Rot sind eine der für mich wichtigsten Bands auf den zweiten Blick. Das wundert mich nicht, denn sie legen eine Art Anti-Attitüde-Attitüde an den tag, wie man sie auch von ihren direkten Nachbarn Kreidler und vielen anderen Acts kennt, die im Rahmen des so genannten Postrocky auftauchten, hier in der deutschen Version. Postrocky haben der geschätzte Journalisten-Kollege Marc-Stefan Andres, mit dem ich einst für ein gemeinsames Fanzine arbeitete, das bewusst etwas verniedlichend und in Anlehnung an eine Jugendzeitschrift genannt, weil wir die teilweise sehr große Ernsthaftigkeit der Diskussionen darum etwas aufweichen wollten. Man kann doch auch als Frickler selbstironisch sein und Spaß haben! Während mich in den Neunzigern (immer noch) eher ihre Label-Mates Gallon Drunk, Yo La Tengo, Smog oder Calexico interessierten, spürte ich aber schon eine Faszination, die etwa einst auf der Kölner Musikmesse Popkomm von To Rococo Rot ausging. Und jetzt schließt sich der Kreis nach vielen tollen Alben und sehr viel Rezeption: Denn ein weiterer Fanzine-Macher und Kollege aus alten Tagen war und ist großer Arto Lindsay-Fan; wie To Rococo Rot. Die (ihn) jetzt singen lassen. Wohl(überlegt) auch nur ihn. Auf drei Tracksongs. Der Ex-DNA und -Lounge Lizards-Mann fügt sich geschmeidig ein, eine bessere Postrocky- oder ebenso gut Postkraftwerky-Stimme kann man sich kaum vorstellen, fast mehr Instrument als Erzähler. Geradezu lässig auf dem leuchtend zurück genommenen ›Classify‹, solch ein Ding wünscht sich manch eine Band, jetzt schon ein Fallbeispiel für unrockistischen Rock. Und danach das eher clubbige, basslastige, perkussive ›Baritone‹, To Rococo Rot um die Brüder Lippok und Stefan Schneider sind bei mir wieder da.
Gänzlich neu hingegen ist Dave Aju aus San Fransisco, der mit Black Frames noch einige Schritte weiter in Richtung Club-Tanzboden wippt als die Vorgenannten: Innerhalb der Kolumne jedenfalls sind wir nunmehr am deutlichsten an so etwas wie elektronischer Musik dran. Verweise auf Blues, TripHop, HipHop, Psychedelic, Fusion, House inbegriffen, erinnert Aju an die sleazy Kühle (›Nu Threads‹ und erotische Hitze ›Race On Haight‹) von SuperCollider oder Nicole Willis, wobei er schon sehr tief in den Soul einsteigt. Man hört bzw. kann sich sehr gut imaginieren, dass Aju auch schon für Nicolas Jaar oder Matthew Herbert zurückgemischt hat. Unter anderem unterstützt von Qzen und DJ Tyrel Williams entwirft Aju für mich hier eine ganz eigene, niemals umkleidekabinen- oder aftershow verdächtige Tanzmusik. Gleichwohl driftet mir der tolle Beginn dann etwas ins sehr gefällig Housige und leicht Trancige ab und findet erst mit ›Low‹ den Weg zur beschriebenen Souveränität zurück.
Eine gänzlich andere Art humoresker Souveränität haben seit jeher die Acts aus dem Umfeld von Staatsakt, Buback und Hanseplatte: Hans E. Platte (sic!) hat nunmehr neben seinem kolumnehaften Newsletter eine Compilation zusammengestellt und all seinen mehr oder minder hanseatischen Musikerinnen und Musikern bisher Unveröffentlichtes abgequatscht. Gereon Klug aka Hans E. Platte hat dazu gleich noch ein Buch mit 70 Briefen gegen den Mainstream, so der Untertitel des ebenfalls Low Fidelity betitelten Werks, verfasst. Auch die doppelte LP ist eine Art doppelbödiges Gegen-Manifest, doppelbödig im Sinne von minus mal minus ergibt plus: Denn kultürlich sind die verschrobenen, trashigen, funke(l)nden Stücke von u.a. Deichkind, Almut Klotz (R.I.P.), Schorsch Kamerun, Adolf Noise, Saal 2, Heinz Strunk, Die Sterne und Tocotronic schräg, anders (auch für das, was diese Acts sonst so machen) und irgendwie sympathisch anti; also nicht programmatisch, sondern wüst. Und spätestens, wenn der Ex-Münsteraner, Stromberg-Kinofilm-Alleinunterhalter und Fraktus-Songschreiber Carsten Erobique aka Lambert Meyer ›Careless Pimper‹ aufbietet (featuring Rica Blunck und Rocko Schamoni), sind die Ironieschlaufen soweit gedreht, dass es auch einfach so wieder Spaß machen kann und diese Schmonzette von Wham! durch all die Brechungen und Bearbeitungen doch wieder leuchten kann. Selbiges gelingt den Garagenrockern von Boy Division mit dem Klassiker ›Hold Me Now‹ der Thompson Twins. Dafür ein ausdrückliches Dankeschön, eigentlich an alle an dieser Compilation Beteiligten, und bitte niemals ernst werden.
All dieser Schlaufen entledigt und eher schon wieder teilweise ganz nah an Dave Ajus Sexyness bewegt sich das Projekt The Acid, welches im Grunde das neue Trio-Ding des Produzenten, DJs und Labelmachers Adam Freeland, des Komponisten, Produzenten und Musiktechnologie professors Steve Nalepa und des Produzenten Ry X ist. Wieder so eine Art Band, die sich erst im neuen Berlin traf und dort startete. The Acid betreiben Sampling und Layering deluxe und en masse. Das Schöne aber ist, dass man dieses Technikgefrickel nicht durchschauen muss und die Songs auch ›einfach‹ so (das ist bekanntlich nicht gerade einfach) wirken und in einen Bann ziehen. Ry selbst sagt zum eigenen Verfahren: »It’s like painting before you know what you are painting.« Wenn es nicht so ein abgegriffenes Bild im Musikjournalismus wäre, obwohl, das ist so ein bisschen aus der Mode gekommen, also benutze ich es doch mal wieder: The Acid sind für mich, sorry Mr. Krell, die besseren How To Dress Well plus eine Portion süßlicher Abgehobenheit wie bei James Blake, aber auch vertrackter, noch melancholischer, kleinmäuliger und dennoch groovy. Und Balzers Rezension würde ich auch gleich übertragen wollen. ›Creeper‹ und anschließend ›Fame‹ verkörpern das Geschriebene bestens, ganz hier und doch so weit weg.
Vor einiger Zeit erlag ich vollkommen naiv den Verwirrspielchen von Lana Del Rey, kroch sie doch absolut unauffällig getarnt und unverdächtig auf einem kleinen Musikkunst- und Filmfestival bei der After Show-Party am Atlantik in meine Ohren. Vielleicht sind aber auch einfach nur große, selbstverlorene und schuheglotzende Pop-Momente wie sie in dieser Art für mich etwa von Mazzy Star, Cowboy Junkies oder Lisa Germano erzeugt wurden, im popmusikalischen Hollywood angekommen. Auf welcher Ebene des Spiels auch immer wir uns bei Del Rey befinden (zum Ansatz der Metamodernität bei Lana Del Rey vgl. van den Berg 2013), der damalige DJ legte auf, grinste, und doch meinten wir es alle ziemlich ernst mit der Freude über Del Reys Melancholien an jenem lauen Dezemberabend. Als ich angenehm traurig-glücklich und angesäuselt zum DJ ging und nach diesem verdammt schönen Song fragte, musste der lachen und sagte so was wie »Mensch, das ist doch ›Summertime Sadness‹ von Lana Del Rey«. Was für ein toller Augenblick der tänzelnden Erkenntnis! Abgesehen von meiner Unwissenheit und dem einfach situativ (sicher nicht unbewusst aufgelegten) passenden Song an sich, war in Sachen Distinktionsgewinn ein Sieg eingefahren worden. Ich persönlich kaufte übrigens anschließend die tolle Doppel-CD-Edition. Und nun ist del Rey mit Ultraviolence zurück und haut uns die, ihre, Magie des Konservierten erneut um die Ohren. Es hat sich nichts geändert, gleichwohl funktionieren die neuen Songs wieder, auch in der westfälischen Schwüle im Umfeld von Unwettern, wie ich sie noch nie hier erlebt habe: Del Rey trauert, offeriert uns weiterhin ihre unglaublich dick produzierte und starke Schwäche und Zerbrechlichkeit und trifft zielgenau einen Nerv. Wenn Del Rey Ergebnis von popmusikpsychologischen oder popmarktforschenden Experimenten (Stichwort: Slacker, die keine mehr sind oder Shoegazing für Saturierte, Leiter des Experiments: Dan Auerbach von den Black Keys, mein Antrag auf ein Teilprojekt: Del Reys Wirkung auf Teenies, Del Rey singt ja schließlich auch immer wieder über Generationen) wäre, es würde mich nicht wundern. Schieben wir die Kontexte für einen Moment, wie damals auf dem besagten, vollkommen zur Seite, also auch jegliche Brechungs- oder Meta-Andeutungen, dann ist Ultraviolence einfach ein weiteres großes tragisches Ding – und vielleicht, soviel Reflexion sei erlaubt, gehört genau diese Einschätzung zu ihrem Geheimnis, höre ›Cruel World‹: »Because you’re young, you’re wild, you’re free, you’re dancing circles around me, you’re fucking crazy, oh, you’re crazy for me…«. Del Rey bleibt für mich die perfekte Hochglanz-Inszenierung des amerikanischen (Alb-) Traums und ein Thema.
Dem ganz entgegengesetzt und dennoch nicht gleich subkulturell im Sinne eines konkreten Dagegen, sondern eher fast schon wieder ähnlich spielerisch, nur auf eine andere, krachigere Art und Weise waren für mich Trans Am im originären Postrocky-Feld immer etwas rätselhaft und rockig, um sie so ohne weiteres neben Tortoise (eher Jazz oder Club-Musik) oder Ui (eher Funk) zu rezipieren, nein, Trans Am waren sperriger, viel mehr auf der Meta-Ebene unterwegs (deswegen sollen aber genannte keinesfalls abgestuft werden), mehr Kraftwerk (auch die ganz frühen) als Can oder andere. Mit ›Anthropocene‹ kann sicherlich besser beeindruckt und geärgert werden als mit Del Rey, keine Frage. Auf ihrem, wen wundert es, zehnten Album treiben es Phil Manley, Nathan Means und Sebastian Thomson auf die Spitze: Bombast, Kraftwerk, Postrocky, Stadion, Stoner, Synthie (hör doch mal den Wechsel und gleichzeitigen Flow von schon genanntem Eröffnungssong zu ›Reevaluations‹, eigentlich fallen einem mindest zwei Labels pro Song ein. Und so funktionieren Trans Am eben auch. Wer eine Richtung oder Wegweisung wissen will, bekommt sie garantiert nicht. Was dennoch nicht bedeutet, dass hier ironisch achselgezuckt oder achselzuckend ironisiert wird. Das scheint schon etwas komplizierter.
Meine Damen, Herren und Etceteras, wenn Sie direkte Kaufempfehlungen erwartet haben, freue ich mich, Sie hoffentlich enttäuscht zu haben bzw. lesen Sie diesen Abschluss eventuell idealerweise gar nicht mehr. Ein Seiteneffekt dieser subjektiven Beobachtungen mag ja sein, dass sich jemand interessiert, zu interessieren beginnt (das ist dann etwas Besonderes in der Tat), dass man mit seinem Geschreibsel jenseits von selbst-therapeutischen Ergüssen Türen, Fenster, jedenfalls Räume eröffnet, und dann kommt das Anhören und selbst Beurteilen. Nothing more, nothing less: »In der Kommentarfunktion besteht nun ihre [die der schreibenden Individuen] ganze Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe.« (Schikowski 2013: 43) Und anschließend: »Ihre Überinformiertheit durch das Internet entwertet Informationen politisch.« (Ebd.: 44). Gegen diese Entwertung und aber auch die etwas zu enge Sichtweise auf Kommentarfunktionen und ‚das Internet’ schreiben wir weiter — an.
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Text
Christoph Jacke
Fotografie
© Die Aufhebung
[togglegroup][toggle title=“Hör|Spiel“]
[/toggle][toggle title=“Schau|Spiel“]
[/toggle][toggle title=“Ton|Träger“]The Raveonettes, »Pe’ahi«, Beat Dies, 2014.
Stian Westerhus & Pale Horses, »Maelstrom«, Rune Grammofon, 2014.
Amen Dunes, »Love«, Sacred Bones, 2014.
How To Dress Well, »What Is This Heart?«, Domino Records, 2014.
Lydia Lunch & Cypress Grove, »A Fistful Of Desert Blues«, Rustblade, 2014.
Ramona Lisa, »Arcadia«, Pannonica/PIAS, 2014.
To Rococo Rot, »Instrument«, City Slang, 2014.
Dave Aju, »Black Frames«, Circus Company, 2014.
V/A, »Low Fidelity«, Staatsakt, 2014.
The Acid, »Liminal«, Infectious/PIAS, 2014.
Lana Del Ray, »Ultraviolence«, Universal, 2014.
Trans Am, »Volume X«, Thrill Jockey Records, 2014.
[/toggle][toggle title=“Quellen“]BALZER, Jens (2014): Die Liebe mit Überschwang überschütten. ›What Is This Heart?‹: Das neue Album von How To Dress Well ist ein großer Wurf. In: Frankfurter Rundschau, 70. Jg. Nr. 147 vom 28./29.06.2014 (Wochenendausgabe), S. 34.
DWORKIN, Ronald (2014): Religion ohne Gott. Berlin: Suhrkamp.
KARNIK, Olaf (2012): Retromania. In: Theresa Beyer, Thomas Burkhalter (Hrsg.):Out of the Absurdity of Life. Globale Musik. Bern: Traversion, S. 114-118.
SCHIKOWSKI, Michael (2013): Warum Bücher? Buchkultur in Zeiten der Digitalkultur. Frankfurt/M.: Bramann.
VAN DEN BERG, Karen (2013): Last Exit Underclass. Lana Del Rey and the Politics of White Trash. Notes On Metamodernism. Online: http://www.metamodernism.com/2013/05/01/last-exit-underclass/ (Stand: 11.08.2014)[/toggle][/togglegroup]
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